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Die Schnellzünder der Evolution – Humboldt-Stipendiat Dr. Luis Valente erforscht die Biodiversität auf Inseln

Klein-Grundfink (Geospiza fuliginosa) auf den Galapagos-Inseln. Foto: Ruben Heleno.
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Klein-Grundfink (Geospiza fuliginosa) auf den Galapagos-Inseln. Foto: Ruben Heleno.

Darwinfinken, die den Namen ihres Entdeckers – dem Begründer der Evolutionstheorie Charles Darwin – tragen, gehören zu den bekanntesten Tieren weltweit. Sie leben auf den Galapagos-Inseln, einer Inselgruppe im Pazifischen Ozean, rund 1000 Kilometer vor der ecuadorianischen Küste. Deren Lage macht sie besonders für Biologen interessant, da solch entfernte Inseln als exzellente natürliche Labore zur Erforschung der Evolution gelten. Als relativ abgeschlossene Ökosysteme bilden sie wertvolle Modellsysteme, um Biodiversitätsprozesse genauer studieren zu können. Ausgerechnet am Beispiel der Darwinfinken hat ein Team um den portugiesischen Evolutionsbiologen Dr. Luis Valente, der derzeit an der Universität Potsdam forscht, nun ein Modell erprobt, das überraschende Einblicke in die Mechanismen erlaubt, wie sich die Artenvielfalt entwickelt.

Die Evolution der Spezies verläuft auf den Galapagos-Inseln, dem Geburtsort von Darwins Evolutionstheorie, unterschiedlich schnell. Während etliche Vogelfamilien nach wie vor neue, weitere Arten hervorbringen, haben die Darwinfinken offenbar eine besondere Form des Gleichgewichts erreicht: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die berühmten Darwinfinken, zumindest was die Zahl der Arten angeht, bereits an einem evolutionären Endpunkt angelangt sind“, sagt Luis Valente. „Aber eben einem produktiven: Neue Arten kommen nach wie vor hinzu, allerdings nur, wenn andere aussterben. Ursache hierfür dürfte ihre ‚schnelle Evolution‘ mit bis heute hohen Evolutions- und Aussterberaten sein.“

Die Zahl anderer Vogelarten – und damit die Diversität – auf den Galapagos-Inseln insgesamt nimmt hingegen noch immer zu. Dies legt nahe, dass die sogenannte klassische Insel-Theorie für die Galapagos-Inseln nicht zutreffend ist. Die seit den 1960er Jahren vorherrschende Theorie zur Evolution auf Inseln sagt ein dynamisches Gleichgewicht zwischen der Immigration und dem Aussterben von Arten voraus.

Ein neues Computerprogramm modelliert die Entwicklung der Spezies

„Doch diese These konnte bislang nie empirisch überprüft werden, da es keine geeigneten statistischen Instrumentarien gab, um die Entwicklung der Biodiversität über Jahrmillionen hinweg zu untersuchen“, sagt Valente. Zusammen mit Prof. Rampal Etienne von der Universität von Groningen und Dr. Albert Phillimore von der Universität von Edinburgh hat Valente ein mathematisches Modell und ein darauf aufbauendes Computerprogramm namens DAISIE entwickelt, um die Biogeografie von Inseln rekonstruieren zu können. Mithilfe von DAISIE hat das Forscherteam nun die Entwicklung verschiedener Vogelarten auf dem Archipel analysiert. Die Ergebnisse der Studie, in der erstmals Evolutionsdynamiken über sehr lange Zeiträume untersucht wurden, haben die Forscher im hochrangigen Journal Ecology Letters veröffentlicht. Das dafür entwickelte DAISIE-Modell haben sie als Bibliothek in der weitverbreiteten Software R für andere Forscher bereitgestellt.

„DAISIE verarbeitet alle Daten zur Entwicklung der Spezies auf den Inseln, die wir zusammentragen“, sagt Valente, „zu Kolonisierungsraten, Aussterberaten, Ausdifferenzierung. Je mehr desto besser.“ Konkret erfassen die Forscher die Informationen eines bestimmten Gens von repräsentativen Exemplaren aller Arten, derer sie habhaft werden können. Als Biologen vor einigen Jahrzehnten damit begannen, Gensequenzen zu analysieren, wurde dieses Gen eher zufällig ausgewählt und wird seitdem bei genetischen Untersuchungen gewissermaßen standardmäßig erfasst, um Forschungen wie die von Luis Valente zu ermöglichen. Als „Vergleichsfolie“ dienen verwandte Arten auf dem Festland, zu denen ebenfalls die entsprechenden Daten in DAISIEs Datenbank eingespeist werden. Ist diese so vollständig wie eben möglich, simuliert das Programm Tausende von verschiedenen möglichen Szenarien dafür, wie sich die Arten auf den Inseln über Jahrmillionen hinweg – im Vergleich zu den Populationen auf dem Festland – entwickelt haben, und identifiziert die wahrscheinlichsten von ihnen.

„DAISIE bietet einen wertvollen neuartigen Ansatz“, sagt Prof. Dr. Ralph Tiedemann, bei dem Luis Valente seit Ende 2014 als Humboldt-Stipendiat seine Forschung fortsetzt. „Mit dem Programm lassen sich Artbildungs-Mechanismen – über verschiedene Arten und Inseln hinweg – untersuchen und Muster identifizieren.“

Dutzende weitere Inselgruppen werden untersucht

So aufsehenerregend die Ergebnisse der Untersuchung zu den Galapagos-Inseln sind, sie bilden für Valente nur den ersten Schritt. Die nächsten geht er nun von Potsdam aus und sie führen ihn rund um den Globus: Längst darf DAISIE weltweit abgelegene Inselgruppen „unter die Lupe“ nehmen. „Jetzt, mit Ralph Tiedemann, wollen wir ganz verschiedene Arten von Archipelen mit ihren Eigenheiten untersuchen: größere und kleinere, höher gelegene und sehr flache, sehr entfernte und näher an Kontinenten gelegene“, sagt Valente begeistert. Insgesamt rund 20 Inselgruppen und ihre Vogelarten sollen mithilfe von DAISIE untersucht werden. Die „Teilnahmekriterien“ sind streng: Die Archipele müssen ausreichend weit von anderen Landmassen entfernt liegen – und zwar schon immer. Das trifft faktisch nur auf Inseln vulkanischen Ursprungs zu. Zudem sollten zu den dort lebenden Spezies die nötigen Daten bereits vorhanden sein oder zumindest erschließbar sein. Eine echte Herausforderung, wie Valente erklärt: „Ein Großteil ist dank bestehender Datenbanken verfügbar“, erklärt der Forscher. „Aber in anderen Fällen ist es weit schwieriger.“

Wie bei der Insel São Tomé. Das Eiland liegt im Golf von Guinea, 240 Kilometer vor der afrikanischen Küste, und ist Teil des afrikanischen Staates São Tomé und Príncipe. Auf der Insel leben rund 50 Vogelarten, von denen allerdings bislang keine DNA-Sequenzen vorliegen. Derzeit steht Valente in Kontakt mit einem Vogelkundler, der die Vogelwelt der Insel schon lange erforscht – und auch über das begehrte Probenmaterial verfügt, das der Potsdamer Biologe braucht. „Es ist geradezu unerlässlich, gut vernetzt zu sein“, so Valente. „Wir sprechen mit etlichen Ornithologen, müssen viel verhandeln, denn natürlich möchte nicht jeder die Ergebnisse seiner Arbeit zur Verfügung stellen.“ Aber auch in Museen wird Luis Valente fündig, wertet – teilweise mehrere Jahrhunderte – alte Proben aus. Da diese nicht selten schlecht oder gar falsch behandelt wurden, entpuppen sich Routinetätigkeiten im Labor oft als „kriminalistische“ Detailarbeiten. Diese Laboruntersuchungen erfolgen auch mit studentischer Hilfe. „Für unsere Studierenden ist es toll, auf diese Weise schon früh selbst forschen zu können“, ergänzt Ralph Tiedemann. „Und das an Material von einigen der außergewöhnlichsten Orten der Welt. Im Sommer 2014 hat beispielsweise eine Studentin die DNA von Vögeln auf den Kanarischen Inseln vor der afrikanischen Westküste sequenziert.“

Luis Valentes eigener Arbeitsplatz ist gegenwärtig zumeist an einer Computertastatur. Er muss die Ergebnisse der Probenanalysen in die Datenbank einspeisen und anschließend mit DAISIE die Szenarien modellieren. Das heißt nicht, dass er die Arbeit in der Natur nicht vermisst. Valente war in den Botanischen Gärten von London und Madrid tätig, schrieb seine Doktorarbeit über die Evolution von Pflanzen in Südafrika. Feldforschung gehörte stets dazu. Gleichwohl wurde ihm recht bald bewusst, dass dies – gerade für ihn als Evolutionsbiologen – auch für die mathematische Modellierung gilt. „Wir müssen Zusammenhänge rekonstruieren, die teilweise Jahrmillionen zurückliegen, für die wir keine Daten aus dem Feld haben“, erklärt Valente. „Das geht nur mit theoretischen Modellen.“ Tatsächlich sei die Modellierung von Szenarien aus der Evolutionsbiologie nicht mehr wegzudenken, ergänzt Ralph Tiedemann. „Viele Daten lassen sich überhaupt nur so nutzen, dass wir ihre Zusammenhänge in Form von Wahrscheinlichkeiten darstellen.“

Wenn die Erfassung der Proben weiter so gut vorangeht, könnte DAISIE bald für die ersten zehn Inselgruppen Modelle errechnen. Dann wird sich zeigen, ob die Ergebnisse für die Galapagos-Inseln eine Ausnahme waren – oder eine Eigenheit, die sich etwa für andere Spezies auch anderswo feststellen lässt. „Diese Untersuchung könnte dabei helfen, eine der Grundfragen der Evolutionsbiologie zu beantworten: Bewegt sich die Biodiversität auf ein Gleichgewicht zu oder nicht?“, sagt Ralph Tiedemann. Und geht noch weiter: „Wir können modellieren, wie sich ein Ökosystem generell entwickelt, beispielsweise durch den Einfluss des Menschen. Für die Aufgaben des Umweltschutzes bildet das eine wichtige Informationsquelle. Biodiversität zu erhalten, ist der Schlüssel zu gelingendem Naturschutz.“

 

Die Wissenschaftler

Prof. Dr. Ralph Tiedemann studierte Biologie, Informatik und Isländisch an den Universitäten Kiel und Reykjavík. Nach einem Gastaufenthalt an der Free University of Brussels (ULB) habilitierte er sich im Fach Zoologie mit genetischen Untersuchungen zu Artbildung und Populationsstruktur von Vögeln und Säugetieren. Seit 2002 ist er Professor für Evolutionsbiologie/Spezielle Zoologie am Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam.

Kontakt

Universität Potsdam
Institut für Biochemie und Biologie
Karl-Liebknecht-Str. 24–25, 14476 Potsdam
E-Mail: tiedemanuni-potsdamde

Der Evolutionsbiologe Dr. Luis Valente studierte Biologie und Ökologie in London. Derzeit ist Luis Valente als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung am Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam tätig. Für seine Forschung zur Biodiversität auf Inseln erhielt er den Postdoc-Preis 2015 des Landes Brandenburg.

Kontakt

E-Mail: valenteuni-potsdamde

Die hier vorgestellte Forschung ist verbunden mit der Forschungsinitiative NEXUS: Earth Surface Dynamics, die unterschiedlichste wissenschaftliche Aktivitäten der Region Berlin-Brandenburg aus dem Themenfeld Dynamik der Erdoberfläche bündelt. Die Universität Potsdam (UP), gemeinsam mit ihren Partnern des Helmholtz-Zentrums Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ), des Alfred-Wegener-Instituts für Polar und Meeresforschung (AWI) sowie mit Partnern des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), des Naturkundemuseums Berlin (MfN) und der Technischen Universität Berlin (TUB) verbindet hierzu die herausragende Expertise in den Geo-, Bio, Klima- und Datenwissenschaften.

Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Agnes Bressa
E-Mail an die Online-Redaktion: onlineredaktion@uni-potsdam.de