„Bisher ist so ein Werkstück in einer Fabrikanlage dumm. Es weiß nicht, was es ist, wo es herkommt und ob es wichtig oder unwichtig ist“, sagt Norbert Gronau. „Das wird sich ändern. Und darauf müssen die Fabriken der Zukunft vorbereitet werden – vor allem die Menschen, die in ihnen arbeiten.“ Norbert Gronau ist Professor für Wirtschaftsinformatik und Electronic Government an der Universität Potsdam und einer der Vorreiter, wenn es um die Digitalisierung der Wirtschaft geht. Stichwort „Industrie 4.0“. Derzeit entwickelt er mit seinem Team die Mittel, um auch die Mitarbeiter einer Fabrik von morgen fit für die Zukunft zu machen.
„In Fabriken gibt es mehr und mehr intelligente Systeme, die über Wissen zum Fertigungsprozess verfügen und selbst Entscheidungen treffen“, erklärt Gronau. „Mit dieser Transformation beschäftigen wir uns im Projekt ‚Metamorphose der Fabrik‘, kurz ‚MetamoFAB‘.“ Das Ziel von „MetamoFAB“ ist eigentlich denkbar simpel. Es geht darum, Mensch und Maschine der Zukunft in die Lage zu versetzen, Hand in Hand zu arbeiten. In der Fachsprache heißt das „Befähigung der einzelnen Entitäten zu einer vernetzten Fabrik zu cyber-physischen Systemen“. Bislang kommunizierten Maschinen und Roboter vor allem miteinander und nicht mit Menschen, erklärt Gronau. Wenn sie zukünftig eigene Entscheidungen treffen – etwa, dass ein Werkstück einem anderen vorgezogen werden muss, weil es wichtiger oder eiliger ist –, müssen sie dies wiederum an jene weitergeben, die den Gesamtprozess steuern: die Mitarbeiter. „Eine klassische Maschine musste nie etwas erklären. Die Fähigkeit, ihr Handeln zu kommunizieren und vor allem auch zu erklären, müssen wir den Robotern beibringen“, so Gronau.
Für „MetamoFAB“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, haben sich mehrere Forschungseinrichtungen – die Universitäten Potsdam und Stuttgart sowie das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK in Berlin – mit Praxispartnern zusammengeschlossen – neben Industrieriesen wie Siemens, Infineon und Festo auch mittelständische Unternehmen wie Pickert und Partner sowie budatec.
Vom Maschinenbediener zum Problemlöser
Im Fokus des Potsdamer Teilprojekts steht der Mensch – und sein Platz in Industrie 4.0. In einer Fabrik mit mehr und mehr intelligenten technischen Systemen verändert sich auch die Rolle der Mitarbeiter. Sie sind nicht mehr Knopfdrücker oder Einleger, sondern müssen eher steuernd eingreifen, reparieren oder Entscheidungen treffen. Sie werden zu „flexibel agierenden Problemlösern“, so Gronau. „Auf diesem Weg müssen wir die Leute mitnehmen und sie dort abholen, wo sie heute sind.“
Das bedeutet in einem ersten Schritt: Akzeptanz schaffen. Denn nicht alle begegnen den neuen „Kollegen“ mit offenen Armen. „Es muss verhindert werden, dass Arbeiter denken: ‚O Gott, der Roboter nimmt mir meinen Arbeitsplatz weg!‘ Denn das wird so nicht passieren“, sagt der Wissenschaftler. „Dafür ist weiterhin zu viel nur von Menschen zu erledigen.“ In einer Studie zur „Akzeptanz und Wandlungsfähigkeit im Zeichen der Industrie 4.0“ haben Gronau und sein Team untersucht, wie Unternehmen die digitale Transformation begleiten können, die auch ihre Mitarbeiter mittragen. Die Ergebnisse zeigen, dass „ein durchdachtes und klar kommuniziertes Wandlungskonzept unentbehrlich“ sind. Das bedeutet, je eher und besser die Mitarbeiter ihre neue Rolle kennenlernen, desto größer ist die Chance, dass sie diese auch annehmen – und das lernen, was sie dafür brauchen.
Diese Wandlungskonzepte und die notwendigen Maßnahmen für eine Weiterbildung der Mitarbeiter zu entwickeln, ist das Kernanliegen des Potsdamer MetamoFAB-Projekts. Dabei hilft die sogenannte Erforschung wissensintensiver Geschäftsprozesse. „Wir haben eine Methode erarbeitet, mit der sich der Anteil des Kopfwissens an Geschäftsprozessen ermitteln lässt“, erklärt Gronau. Mithilfe von Prozessmodellen lässt sich beispielsweise darstellen, welches Wissen – etwa in Fertigungsprozessen – von den Mitarbeitern kommt, welches von den Maschinen und wie sie zusammenwirken. Für MetamoFAB untersuchen die Wissenschaftler nun, wie sich dieses Verhältnis unter den Bedingungen der Digitalisierung verändert und was die Mitarbeiter lernen müssen, um ihre neue Rolle ausfüllen zu können. Und zwar idealerweise für jeden einzelnen Beschäftigten, denn während der eine den Roboter bedienen soll, muss ihn ein anderer programmieren können.
Lernfabriken machen Mitarbeiter fit für die Zukunft
In einem zweiten Schritt machen sich die Wissenschaftler dann daran, aus den ermittelten „Anforderungsprofilen“ konkrete Aus- und Weiterbildungsmodelle abzuleiten. „Wie bilden wir die Mitarbeiter bestmöglich aus? Ganz sicher nicht, indem wir ihnen ein 300 Seiten dickes Manual in die Hand drücken“, schmunzelt Gronau. „Konkret kommen zwei Möglichkeiten infrage: zum einen spielerisch, mit sogenannten ‚Serious Games‘. Zum anderen mithilfe von Lernfabriken, an denen die Leute geschult und getestet werden.“ Eine solche „Lernfabrik“ steht in den Räumen des Lehrstuhls auf dem Uni-Campus Griebnitzsee und heißt „Anwendungszentrum Industrie 4.0“. „Mit der Anlage können wir schon jetzt simulieren, wie eine Fabrik in fünf Jahren aussieht, und dabei verschiedenste Szenarien ausprobieren – von Störungen über Programmumstellungen bis zu wechselnden Auftragslagen“, sagt Gronau stolz.
Das Anwendungszentrum ist das technische Herzstück nicht nur dieses Forschungsprojekts. Die Anlage entstand 2010 im Projekt LUPO („Leistungsfähigkeitsbeurteilung unabhängiger Produktionsobjekte“) mit dem Ziel, als virtuelle Fabrikanlage beliebig viele Produktionsabläufe simulieren zu können. Das tut sie bis heute, aber inzwischen noch viel mehr. Für MetamoFAB haben Gronau und sein Team sie zur universellen interaktiven Lernfabrik weiterentwickelt. Der Vorteil: Diese kann an die verschiedenen Anforderungen angepasst werden, die unterschiedliche Praxispartner haben. „Während für die einen eine immer tiefergehende Spezialisierung wichtig ist, arbeiten die anderen, die sehr breit aufgestellt sind, an einer möglichst vielseitigen Automatisierung. Das können wir hier abbilden – bis hin zum einzelnen Arbeitsplatz“, so Gronau. Dank der engen Kooperation mit den industriellen Partnern entstehen die Szenarien und Weiterbildungsmodelle „am lebenden Objekt“. So ließen sich die wissenschaftlichen Methoden nicht nur praxisnah testen, sondern auch gleich ermitteln, ob und wie sie anwendbar sind – und auch gebraucht werden.
„Es ist durchaus unser Ziel, diese Trainingseinheiten auf den Markt zu bringen“, so Gronau. „Etwa durch ein Spin-off. Auf jeden Fall ist der Bedarf riesig. Immerhin kann mit so einer Lernfabrik ein Unternehmen seine Fabrikszenarien der Zukunft ausprobieren und daran ausbilden.“
Für das „Anwendungszentrum Industrie 4.0“ ist das Ende der Wandlungsfähigkeit im Übrigen nicht abzusehen. Während es als LUPO nach wie vor als Simulationsplattform für neue Fabrikmodelle dient und für MetamoFAB zur Lernfabrik wird, hat Norbert Gronau die Anlage in einem neuen Forschungsprojekt zum Labor weiterentwickelt. Im DFG-Schwerpunktprogramm „Intentional Forgetting in Organisationen“, dessen Co-Sprecher Gronau ist, dient sie als Labor zur Durchführung von Experimenten.
Der Wissenschaftler
Prof. Dr.-Ing. Norbert Gronau studierte Maschinenbau und Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin. Seit April 2004 ist er Lehrstuhlinhaber an der Universität Potsdam. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Betriebliches Wissensmanagement und Wandlungsfähige ERP-Systeme.
Kontakt
Universität Potsdam
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
August-Bebel-Str. 89, 14482 Potsdam
E-Mail: norbert.gronauuwi.uni-potsdampde
Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Agnes Bressa
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