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Kamel statt Maus – Biologen entwickeln ein neues System zur Produktion von Antikörpern

Bei einem Infekt produziert sie der Körper massenhaft. Sie erkennen Bakterien und Viren an deren spezifischen Oberflächenstrukturen. Dort lagern sie sich an und markieren die Krankheitsauslöser, die so schließlich unschädlich gemacht werden können. Antikörper sind kleine Wunderwaffen, mit denen sich unser Körper schützt. Doch sie spielen auch außerhalb des Körpers eine wichtige Rolle. Sie werden routinemäßig in der medizinischen Diagnostik und auch in der Therapie eingesetzt. Ihre Produktion ist jedoch aufwendig und teuer. Potsdamer Biologen wollen das Verfahren vereinfachen.

Im Kulturschrank des zellbiologischen Labors stapeln sich flache Kulturflaschen, Petrischalen und Mikrotestplatten, gefüllt mit orangefarbener oder roter Flüssigkeit. Katja Hanack nimmt ein Fläschchen aus dem Inkubator und legt es unter das Mikroskop. In der Nährflüssigkeit schwimmen, unsichtbar für das menschliche Auge, Millionen kleinster Zellen. Erst unter der 10- bis 20-fachen Vergrößerung des Mikroskops offenbaren sich die winzigen kugeligen, durchsichtigen Gebilde. Sie produzieren eine wertvolle Fracht, auf die es die Biologin abgesehen hat: Antikörper. Die Immunzellen haben eine komplizierte Entwicklung hinter sich, bevor sie hier in der Laborkultur zu kleinen Antikörper-Fabriken wurden.
Katja Hanack ist Professorin für Immuntechnologie und entwickelt in ihrer Arbeitsgruppe ein System, mit dem sich die begehrten Antikörper in Zellkulturen produzieren lassen. Und zwar wesentlich schneller und preiswerter, als dies bislang geschieht. Denn der Bedarf nach den kleinen Bindepartikeln ist in Medizin und Industrie enorm.
„Antikörper sind die am häufigsten benutzten Bindemoleküle“, macht die Wissenschaftlerin deutlich. „Im Bereich der Diagnostik und Therapie kommen sie praktisch überall vor.“ Mit Antikörpern lassen sich Schwangerschaftshormone, Viren, Tumorproteine oder Medikamente im Blut nachweisen. Tests auf Diabetes oder Autoimmunerkrankungen basieren ebenfalls auf der Bindungsfähigkeit der Moleküle. Bestimmte Krebserkrankungen werden mit Antikörpern bekämpft, ebenso Entzündungsreaktionen bei Rheuma oder Morbus Crohn.
„Irgendwie müssen die großen Mengen an Antikörpern produziert werden“, erklärt Katja Hanack, die bis vor Kurzem die InnoProfile-Nachwuchsgruppe „Antikörpertechnologien“ an der Universität Potsdam leitete und nun eine Stiftungsprofessur inne hat. „Das bedeutet einen immensen Aufwand, der viel Zeit und Material erfordert.“ Bisher werden Antikörper meist wie folgt hergestellt: Tiere – für gewöhnlich Mäuse – werden mit einem körperfremden Stoff, einem Viruspartikel, einem Bakterium oder auch anderen Substanzen geimpft. Antigene nennen Experten diese Fremdstoffe. Das Immunsystem der Tiere erkennt den Fremdstoff und beginnt mit der Immunreaktion. Es produziert einen spezifischen Antikörper gegen das Antigen. Am Ende wird den Tieren die Milz entnommen. Die darin enthaltenen antikörperproduzierenden Zellen werden isoliert. „Das gesamte Milzzellrepertoire der Maus produziert natürlich Millionen verschiedener Antikörper“, verdeutlicht Katja Hanack. Um die eine Zelle zu isolieren, die den gewünschten Antikörper produziert, sind weitere immunologische Tests nötig. „Die gesamte Prozedur dauert normalerweise sechs bis acht Monate“, erklärt die Forscherin.
Die junge Professorin hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Statt sechs bis acht Monate soll es zukünftig lediglich vier Wochen dauern, Antikörper zu produzieren. Und es sollen weniger Mäuse ihr Leben lassen müssen. Das, was im tierischen oder auch menschlichen Körper während einer Immunreaktion abläuft, stellt sie im Labor in einer Zellkultur nach – vom ersten Kontakt der Immunzellen mit dem Antigen bis zur Produktion spezifischer Antikörper. Diese werden von den Zellen ins Medium abgegeben und können „abgeerntet“ werden. Mit dem Verfahren müsste den Tieren keine Milz entnommen werden. Es würden Immunzellen genügen, die aus dem Blut stammen und im Labor kultiviert werden. Außerdem könnten humane Antikörper, die bisher – ausgehend von Mauszellen – für therapeutische Zwecke aufwendig humanisiert werden müssen, einfacher über menschliche Zellkulturen hergestellt werden.
„Das sieht schon gut aus.“ Katja Hanack ist zufrieden mit dem, was sie am Monitor ihrer Mitarbeiterin Monique Butze sieht. Diese untersucht gerade Lama-Immunzellen, die aus dem Blut der Tiere isoliert und im Labor kultiviert wurden. Auf dem Bildschirm breiten sich klecksförmige Zellen mit langen Fortsätzen aus. Die sogenannten dendritischen Zellen erkennen Fremdstoffe wie Viren oder Bakterien im Körper, fressen sie und lösen sie schließlich auf. Mit diesem Schritt beginnt die Immunantwort des Körpers. Und es ist gleichzeitig der Ausgangspunkt für die Etablierung der Antikörperproduktion in der Zellkultur.
Dendritische Zellen sind die „Wachposten des Immunsystems“. Sie präsentieren charakteristische Teile der zuvor aufgenommenen und aufgelösten Fremdkörper auf ihrer eigenen Zelloberfläche. Dies ist das Signal für weitere Immunzellen – die T-Lymphozyten: „Schaut her, so sieht der Feind aus.“ Haben die T-Lymphozyten die Information aufgenommen, erfüllen sie eine Botenaufgabe und geben diese an andere Immunzellen weiter: die B-Lymphozyten. Diese produzieren schließlich spezifische Antikörper, die an die Oberflächenstrukturen der Eindringlinge andocken und sie unschädlich machen. „Das ist unser Ziel“, erklärt Katja Hanack.
Dass die dendritischen Lamazellen, die aus einer Blutprobe der Tiere isoliert und in der Zellkultur vermehrt wurden, aktiv und funktionsfähig sind, ist ein erster Erfolg für Katja Hanack und ihre Mitarbeiter. In einem nächsten Schritt geben sie ein spezifisches Antigen zur Zellkultur. Also jenes Eiweiß, an das sich später die Antikörper anlagern sollen. Präsentieren die dendritischen Zellen die Strukturen der Antigene auf ihrer Zelloberfläche, werden diese durch ebenfalls zugegebene T-Lymphozyten erkannt. Mit ihrer Forschung an cameliden Antikörpern, wie sie etwa Lamas oder Kamele besitzen, betreten die Potsdamer Wissenschaftler Neuland. Während herkömmliche Antikörper die Form eines Ypsilons mit zwei schweren und zwei leichten Molekülketten haben und nur mit beiden Armen stabil an ein Antigen binden, besitzen einige camelide Antikörper lediglich zwei schwere Ketten, mit denen dennoch eine sehr stabile Bindung ans Antigen möglich ist. Deshalb haben sie Eigenschaften, die ihre Handhabung vereinfachen und die ideal für eine industrielle Nutzung sind.
„Kamelantikörper sind extrem stabil, man kann sie bei 90 Grad Celsius erhitzen und sie sind anschließend nach Rückfaltung trotzdem voll funktionsfähig“, erklärt Katja Hanack. Die enorme Hitzestabilität der cameliden Antikörper ist vermutlich eine Anpassung an die heißen Umgebungstemperaturen ihrer Heimat. Zudem sind camelide Antikörper kleiner und besser löslich. Sie können tiefer ins Gewebe eindringen und so auch Antigene binden, die konventionelle Antikörper nicht erreichen.
Bisher gibt es jedoch kein Verfahren, die cameliden Immunzellen zu kultivieren. Welche Reagenzien vertragen die Zellen? Welche Nährstoffe benötigen sie? Welche Umgebungsbedingungen vertragen sie nicht? All diese Fragen müssen die Forscher durch aufwendige Testreihen beantworten. Verlaufen diese erfolgreich, geht es in einem nächsten Schritt darum, eine sogenannte Zelllinie zu entwickeln. Dazu werden mit immunologischen Verfahren exakt jene Zellen ausgewählt, die den gewünschten Antikörper produzieren. Diese würden allerdings nur wenige Tage in der Zellkultur überleben. Deshalb verschmelzen die Forscher sie mit Krebszellen. Die so entstehenden Zellen – sogenannte Hybridome – produzieren weiterhin Antikörper, sind aber gleichzeitig unsterblich, da sie die Fähigkeit der Krebszellen übernehmen, sich unbegrenzt teilen zu können. Für Antikörper aus Mäusen ist das Verfahren bereits Standard, für camelide Antikörper muss es erst neu entwickelt werden.
Die Forscher um Katja Hanack arbeiten derzeit also an zwei Fronten – zum einen an antikörperproduzierenden Zellkulturen und zum anderen an cameliden Antikörpern, die sie für die Anwendung neu etablieren wollen. „Wir wollen für die Kamelantikörper eine Standardtechnologie aufbauen, wie sie für Mausantikörper bereits existiert“, verdeutlich Katja Hanack. Am Ende sollen vereinfachte Verfahren und neuartige Bindemoleküle für Medizin und Industrie zur Verfügung stehen.
Ist eine Zelllinie erst einmal stabil etabliert, kann sie praktisch unbegrenzt Antikörper produzieren. Bis dahin ist es für die cameliden Antikörper noch ein weiter Weg, auf dem zahlreiche Hürden genommen werden müssen. Den Forschern verlangt es viel Geduld ab, wenn etwa unter tausend untersuchten Immunzellen diejenige mit dem richtigen Antikörper doch nicht dabei war. Ihre „Schätze“ bewahrt Katja Hanack bei eisigen Minustemperaturen auf: In großen Stahltanks werden ausgewählte Zelllinien in flüssigem Stickstoff bei -200 Grad Celsius in einen „Dornröschenschlaf“ versetzt und können so Jahrzehnte überdauern. Wird der Antikörper wieder benötigt, werden die Zellen aufgetaut und sind einsatzbereit.

Die Wissenschaftlerin
Prof. Dr. Katja Hanack studierte Biologie in Rostock und Berlin. Sie promovierte an der Universität Potsdam und leitete von 2008 bis 2014 die InnoProfile-Nachwuchsgruppe „Antikörpertechnologien. Seit 2015 ist sie Stiftungsprofessorin für Immuntechnologie. Die Stiftungsprofessur wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie von acht regionalen Biotechnologie-Unternehmen kofinanziert.

Kontakt
Universität Potsdam
Institut für Biochemie und Biologie
Karl-Liebknecht-Str. 24–25, 14476 Potsdam
katja.hanackuni-potsdamde

Text: Heike Kampe
Online gestellt: Matthias Zimmermann
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde