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Die Genom-Analysten – Neue Methoden in der Pflanzenzüchtung

Dr. Tsanko Gechev, wissenschaftlicher Manager von CropStrengthen, im Gewächshaus. Foto: Thomas Hölzel.
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Dr. Tsanko Gechev, wissenschaftlicher Manager von CropStrengthen, im Gewächshaus. Foto: Thomas Hölzel.

Wie groß werden die Früchte, wie hoch ist die Resistenz gegen Krankheiten, wie lange kann Trockenheit überstanden werden – im Genom einer Pflanze sind die Informationen für alle diese Merkmale festgeschrieben. Forscher arbeiten daran herauszufinden, welche Gene für welche Eigenschaften verantwortlich sind und wie diese aktiviert oder ausgeschaltet werden können. Molekularbiologen der Uni Potsdam interessieren sich dabei hauptsächlich für Gene, die die Pflanzen stresstoleranter machen.

Für den Laien klingt es im ersten Moment so, als ob die Wissenschaftler am Lehrstuhl für Molekularbiologie sich eine Prise biodynamisches Gärtnern ins Labor geholt hätten. „Super Fifty“ steht auf dem Etikett der kleinen Plastikflasche, die der Molekularbiologe Tsanko Gechev in der Hand hält. Darin ist ein braunes Pulver – ein hoch konzentrierter Extrakt aus dem Seetang Ascophyllum nodosum, geerntet an der irischen Küste und zu Pulver verarbeitet von der Firma BioAtlantis. Das Konzentrat soll zahlreiche positive Wirkungen auf das Pflanzenwachstum haben, wirbt die Firma: ein höherer Ernteertrag bei Nutzpflanzen, vermehrtes Wurzelwachstum, eine höhere Bodenbakteriendichte. Das Präparat gehört zu den sogenannten Biostimulanzien – oder auch Pflanzenstärkungsmitteln.

In der Klimakammer zeigt Dr. Tsanko Gechev, warum „Super Fifty“ in der molekularbiologischen Forschung zum Einsatz kommt. Auf den Regalen stehen hier bei einer konstanten Temperatur von 21 Grad Celsius dicht an dicht Töpfe und Paletten mit Pflanzen aller Altersgruppen. Bei einigen zeigt sich das erste Grün der Blattrosette, andere haben bereits Samenstände an langen Stielen. Arabidopsis thaliana – die Ackerschmalwand – ist das „Haustier“ der Pflanzengenetiker, ihr Genom ist seit dem Jahr 2000 komplett entschlüsselt und die Funktionen vieler Gene sind bereits bekannt. Für die Forscher ist es deshalb relativ einfach festzustellen, welche Genaktivitäten sich etwa unter dem Einfluss eines Biostimulanz ändern.

Gechev ist wissenschaftlicher Manager des Projekts „CropStrengthen“, in dem die Ackerschmalwand auf „Super Fifty“ trifft. „CropStrengthen“ gehört zum European Industrial Doctorate Network (EID) und fördert als „Horizon 2020“-Projekt unter dem Dach der „Marie Skłodowska-Curie Actions“ Nachwuchswissenschaftler – finanziert von der EU und Industriepartnern. In den kommenden vier Jahren werden insgesamt fünf Doktoranden in „CropStrengthen“ forschen. 180 Nachwuchswissenschaftler haben sich beworben. „Unser Ziel ist es, mit dem Biostimulanz herauszufinden, welche Gene für eine gesteigerte Stressresistenz in Arabidopsis thaliana zuständig sind und die Ergebnisse anschließend auf landwirtschaftliche Nutzpflanzen zu übertragen“, erklärt Gechev. Für die Untersuchungen arbeitet die Universität Potsdam eng mit den zwei Industriepartnern BioAtlantis Ltd. mit Sitz in Irland und der Enza Zaden B.V. aus den Niederlanden zusammen. BioAtlantis produziert Biostimulanzien, Enza Zaden züchtet Nutzpflanzen.

Ivan Ivanov aus Bulgarien ist der erste Doktorand, der im Programm an seiner Promotion arbeitet. Eineinhalb Jahre wird der junge Molekularbiologe in Potsdam forschen, weitere eineinhalb Jahre beim Industriepartner Enza Zaden. Für ihn liegen die Vorteile dieses Verfahrens auf der Hand: An der Hochschule profitiert er von der Expertise der Forscher und lernt die neuesten biotechnologischen und biochemischen Methoden kennen. Und auch, wie die Unmengen an auftretenden Daten mithilfe der Bioinformatik ausgewertet werden. Beim Industriepartner lernt er, was für die praktische Anwendung seiner Forschung relevant ist. „Die Chancen, nach der Promotion übernommen zu werden, sind gut“, betont er.

Als wissenschaftlicher Koordinator hält Bernd Müller-Röber, Professor für Molekularbiologie an der Uni Potsdam, die Fäden des Projekts in der Hand. „Pflanzen können nicht weglaufen und haben im Laufe der Evolution vielfältige Mechanismen entwickelt, um mit unterschiedlichen Umweltbedingungen klarzukommen“, verdeutlicht er. Ob Trockenheit oder Nässe, zu wenig oder zu viel Licht, ein Mangel an Nährstoffen oder Schäden durch Raupen – Pflanzen reagieren auf die unterschiedlichen Herausforderungen, die der Standort an sie stellt, auch wenn man ihnen das nicht immer ansieht. Die Anpassungen sind meist unsichtbar und finden auf der Ebene des Stoffwechsels und der Genaktivitäten statt. Biostimulanzien wie „Super Fifty“ unterstützen die Pflanzen scheinbar bei dieser genetischen Anpassung an Stresssituationen. Mit dem Biostimulanz vertragen sie Trockenheit oder Kälte besser, oder wachsen auch unter Nährstoffmangel noch gut. „Bisher verstehen wir noch nicht, warum das so ist“, erklärt Müller-Röber. „Die grundlegende Frage, auf die wir eine Antwort finden wollen, lautet: Was stimuliert Pflanzenwachstum?“

Auf molekularer und biochemischer Ebene wollen die Forscher untersuchen, was in den Pflanzen geschieht, wenn sie mit einem Pflanzenstärkungsmittel behandelt werden. Zunächst wird Arabidopsis thaliana mit und ohne Biostimulanzien unter Stressbedingungen und unter optimalen Wachstumsbedingungen kultiviert. Die Molekularbiologen untersuchen anschließend das Genom der Pflanzen. Unterscheiden sich die Genaktivitätsmuster der unterschiedlich kultivierten Pflanzen? Welche Gene werden an-, welche abgeschaltet? Welche physiologischen Prozesse werden dadurch beeinflusst? Mit diesem Wissen – so die Hoffnung der Forscher – kann man in einem späteren Schritt die entsprechenden Gene, die für eine höhere Stresstoleranz verantwortlich sind, gezielt über klassische Züchtung in Nutzpflanzen wie etwa Tomaten oder Paprika einkreuzen.

Der Clou: Kennen die Forscher die Gene, auf die es ankommt, können sie gezielt jene Eltern aussuchen, deren Genom die gewünschten Abschnitte enthält. Züchtung soll damit künftig wesentlich preiswerter und schneller zum Ziel führen, da bestimmte Kreuzungen, die auf der Genomebene wenig vielversprechend erscheinen, von vornherein ausgeschlossen werden können. „Das Ziel ist es, diagnostische Marker für Züchtungsprogramme zu entwickeln“, erklärt Bernd Müller-Röber. Gelingt dies, können die Züchter bereits im Genom des Pflanzenkeims nach den gewünschten Markern fahnden und herausfinden, ob sich die Kultivierung und Weiterzüchtung lohnt. „Man muss dafür keine Felder haben, auf denen die Pflanzen erst wachsen und ihre Merkmale sichtbar werden, sondern kann das erste Screening im Labormaßstab durchführen“, verdeutlicht Müller-Röber. Dieses Verfahren wird in der Züchtung schon heute angewendet, wenn die entsprechenden Gene für die gewünschten Merkmale bekannt sind.

Ein solches Gen, von dem die Forscher bereits wissen, dass es die Toleranz gegenüber verschiedenen Stressfaktoren in der Modellpflanze Arabidopsis thaliana erhöht, ist ATR7. Welche physiologischen Gründe es dafür gibt, ist noch unbekannt. Ziel der Forschung ist es deshalb auch, die Funktionsweise von ATR7 zu verstehen und verwandte Gene in Kulturpflanzen zu identifizieren.

„Man kann viel Zeit, Raum und Geld sparen“, betont Müller-Röber, „aber man darf nicht glauben, dass die molekulare Analyse im Labor immer ausreichend ist.“ Denn alles verrät das Genom nicht. „Die Merkmale einer Pflanze sind letztlich immer das Ergebnis der Wechselwirkungen mit der Umwelt.“ Tests auf dem Feld oder im Gewächshaus sind also nach wie vor notwendig. „Es ist letztlich eine Erweiterung der Möglichkeiten.“

Die Wissenschaftler

Prof. Dr. Bernd Müller-Röber studierte Biologie und Philosophie in Tübingen. Seit 2000 ist er Professor für Molekularbiologie an der Universität Potsdam.

Kontakt

Universität Potsdam
Institut für Biochemie und Biologie
Karl-Liebknecht-Str. 24–25, 14476 Potsdam
E-Mail: bmruni-potsdamde

Dr. Tsanko Gechev studierte Biologie an der Universität Plovdiv in Bulgarien. Seit Anfang 2015 ist er wissenschaftlicher Manager von CropStrengthen.

Kontakt

E-Mail: gechevuni-potsdamde

Das Projekt

„CropStrengthen“ gehört zum European Industrial Doctorate Network und wird als Marie-Curie-Maßnahme von der Europäischen Union gefördert. Mit neuen pflanzenzüchterischen Methoden und der Identifizierung von verantwortlichen Genen soll die Stresstoleranz von Nutzpflanzen erhöht werden.
Beteiligt: Universität Potsdam, Lehrstuhl für Molekularbiologie, BioAtlantis Ltd., Irland, Enza Zaden Beheer B.V., Niederlande
Laufzeit: 2015–2018

Text: Heike Kampe
Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde