Wovon wird die Artenvielfalt in Grünländern bestimmt? Dieser Frage gehen Florian Jeltsch und sein Team seit längerer Zeit nach. Sie interessiert beispielsweise, welches die entscheidenden Faktoren für ein artenreiches Grasland sind. Ausgangspunkt sind dabei Untersuchungen zum Nährstoffgehalt konkreter Flächen und zu Arten der Landnutzung, Mahd oder Beweidung. Ihre Forschungen verfolgen sie seit 2009 in dem DFG-Projekt „Bedeutung von Wurzelherbivorie für die Resilienz von Grünländern unter verschiedenen Landnutzungsintensitäten“, einem Teilprojekt des DFG-Schwerpunktprogramms „Biodiversitäts-Exploratorien“.
Um Antworten auf ihre Fragen zu finden, haben die Biologen um Florian Jeltsch gemeinsam mit Kollegen der Freien Universität Berlin Datenerhebungen in Grünländern zu den Wurzelherbivoren, den Wurzelfressern, durchgeführt. Dabei geht es immer um agrarisch genutzte Grünländer, also Grasflächen, die in der Regel für die Viehzucht, zur Produktion von Heu oder Silage, verwendet werden. Dafür nutzen die Biologen nicht „künstliche“, sondern von Landwirten tatsächlich genutzte Flächen mit einem „festen Design.“ Auf diese Weise ist es ihnen möglich, unterschiedlich intensiv und auf verschiedene Arten genutzte Flächen zu vergleichen. Um erfolgreich zu sein, ist es für die Wissenschaftler, wie Boden- oder Insektenforscher, sehr wichtig, mit den ansässigen Bauern zusammenzuarbeiten und sich mit ihnen abzustimmen. „In den meisten Fällen sind die Landwirte sehr entgegenkommend und entwickeln sich zu Experten, weil sie viel über ihre Flächen lernen. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen verfügen sie aber auch selbst über umfangreiches Wissen über Böden und Vegetation“, erklärt Florian Jeltsch.
Noch ist wenig erforscht, was unterirdisch passiert. „Oben sieht man die Rinder oder Ziegen fressen oder die Mahd. Aber was passiert unter der Erde, im Wurzelbereich?“ Ein wichtiger Faktor sind in diesem Zusammenhang die Schädlinge, die an den Wurzeln fressen. Bekannt ist, dass sie zahlreich vorkommen können und damit eine relativ große Menge an Wurzeln fressen. „Man weiß noch nicht, welche Bedeutung das für die Artenvielfalt hat“, sagt Florian Jeltsch. So fragen sich die Forscher, ob die Schädlinge wie Rasenmäher vorgehen oder eher selektiv fressen. Interessant ist für sie auch, welche Arten selektiv fressen, welche große Wurzeln bevorzugen, welche Wurzeln besonders gut schmecken und welche Effekte die selektive Fraßauswahl der Schädlinge hat. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Aktivität der unterirdischen Larven und Käfer besonders wichtig ist, wenn die Vegetation „oben“ stark gestört ist, also etwa bei langer Trockenheit, intensivem Herbizideinsatz oder Überflutungen. Solche Phasen sind bedeutungsvoll für die Zukunft der Diversität und damit den gesamten Standort.
Die zahlreichen kleinen Flächen, die die Wissenschaftler – verteilt über viele Wiesen – als Untersuchungsobjekte benutzen, sind meist wenige Quadratmeter groß. Kollegen der FU Berlin entnehmen Bodenproben mithilfe eines Zylinders. Die ausgestochenen Proben analysieren sie im Labor. Um herauszufinden, ob und in welcher Anzahl Larven vorhanden sind, werden die Proben langsam von oben nach unten erwärmt, bis die Larven herausfallen. Das ist eine mühsame Arbeit, da die Verteilung der Pflanzenfresser auf der Fläche ungleichmäßig ist.
Eingebettet in das DFG-Gesamtprojekt zur funktionellen Biodiversitätsforschung will Florian Jeltsch im Wechselspiel von empirischer Forschung, Experimenten und Computermodellen herausfinden, wie die Landnutzung und die damit im Zusammenhang stehende Störung auch die Biodiversität der Grasländer beeinflussen und welche Rolle dabei die Wurzelherbivoren spielen. „Wir wollen die Mechanismen des Zusammenspiels von Landnutzung, Pflanzeninteraktion und unterirdischem Fraß verstehen“, erläutert Florian Jeltsch das Vorhaben. Er nimmt an, dass die Stärke und Richtung des Wurzelherbivorie-Einflusses von der Art und der Intensität der Landnutzung abhängt. So bestimmen sie die Auswirkung von Wurzelherbivoren auf die Regeneration von Grünland-Pflanzengemeinschaften in kontrollierten Gewächsexperimenten und beschreiben die Entwicklung von Wurzelherbivoren- und Pflanzengemeinschaften nach Störungen in Feldstudien.
Die gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen den Biologen, am Computer ein Modell zu erarbeiten, das auf der Basis von einzelnen Pflanzen, die miteinander interagieren, eine ganze Graslanddynamik simuliert. „Damit kann man sehr gut Prozesse verstehen“, sagt Florian Jeltsch. Ausgehend von den Überlegungen, welche Vorgänge sich in der Natur abspielen, vereinfachen und simulieren die Forscher diese Prozesse. Die Programme dafür erstellten in der biologischen Modellierung ausgebildete Studierende selbst.
„Das von uns entwickelte Computermodell gibt es in vergleichbarer Form bisher nicht.“ Deshalb hat auch die Industrie großes Interesse daran. Sie hofft herauszufinden, ob sich mithilfe dieses Modell besser abschätzen lässt, welche direkten und indirekten Effekte Herbizide auf Grünflächen haben.
Grünländer, Wiesen und Weiden gehören in Deutschland zu den artenreichsten Systemen. Deshalb ist der Erhalt der dortigen Artenvielfalt enorm wichtig. Die auftretenden Schädlinge sind auch für die Agrarwirtschaft von Bedeutung, denn sie bleiben nicht auf den Wiesen, sondern gehen auf die Äcker und richten dort große Schäden an. „Versteht man diese Dynamik besser, dann kann das ein Beitrag dazu sein, diese Schäden auch zum Nutzen der Bauern besser in den Griff zu bekommen“, so Jeltsch.
Der Wissenschaftler
Prof. Dr. Florian Jeltsch studierte Physik in Marburg und promovierte dort 1992 mit einer Arbeit zur Theoretischen Ökologie. 1999 habilitierte er sich in Jena. Seit 2000 ist er Professor für Vegetationsökologie und Naturschutz an der Universität Potsdam, wo er seit 2009 Sprecher der Potsdam Graduate School (PoGS) ist.
Kontakt
Universität Potsdam
Institut für Biochemie und Biologie
Maulbeerallee 3
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Text: Dr. Barbara Eckardt
Online gestellt: Agnes Bressa
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