„Viele Menschen denken bei Bergen vor allem an steile Hänge und zerklüftete Gipfel, wie man sie in einigen Teilen der Alpen findet“, sagt John Jansen. „Die meisten Gebirge haben jedoch große abgeflachte Gebiete.“ Der australische Geowissenschaftler mit europäischen Wurzeln ist derzeit am Institut für Erd- und Umweltwissenschaften der Universität Potsdam als BRAIN-Stipendiat zu Gast, um einer spannenden geologischen Frage nachzugehen: Wie entstehen eigentlich sogenannte Hochplateaus? Die Antwort darauf könnte nicht nur etwas über die Geschichte von Gebirgen offenbaren, sondern auch eine mehr als hundert Jahre vorherrschende Theorie widerlegen.
„Traditionell wurden Hochplateaus als Beweis für tektonische Hebungen angesehen“, erklärt Jansen. „Es wird allgemein angenommen, dass diese flachen Oberflächenstrukturen bereits vor langer Zeit entstanden sind, als sie noch fast auf Meeresniveau lagen. Darauf folgten relativ rasche tektonische Hebungen, durch die sie auf die jetzige Höhe angehoben wurden.“ Doch seit einiger Zeit diskutieren Geowissenschaftler alternative Erklärungsmodelle zur Entstehung von Hochebenen. Neben tektonischen Bewegungen sind es vor allem klimatische Prozesse, die die Erdoberfläche formen. In den Höhenlagen waren Gebirge bereits vor mehr als zehn Millionen Jahren einem kalten Klimas ausgesetzt, als es zu einer beschleunigten Abkühlung unseres Planeten kam. „Prozesse unter den Bedingungen eines kalten Klimas, wie zum Beispiel glaziale Erosion oder Frosteinwirkung, können ebenfalls dazu führen, dass sich – ohne tektonische Bewegungen – eine abgeflachte Topografie herausbildet“, erklärt Jansen. Um diese Hypothese zu überprüfen, hat der Australier seine sonnige Heimat verlassen – für ein Forschungsprojekt, das ihn in entlegene Gegenden des Skandinavischen Gebirges führt. „Die Natur ist teuflisch kompliziert“, so der Geoforscher. „Deshalb ist es hilfreich, zunächst einfachere Systeme zu untersuchen, in denen weniger Dinge gleichzeitig ablaufen, und sich auf die grundlegenden Prozesse zu konzentrieren, die eine Landschaft beeinflussen.“ Für seine Forschungen bildet Skandinavien eine Art natürliches Labor. Da es in dieser Region keine größeren tektonischen Hebungen gab, lässt sich hier der Einfluss des kalten Klimas besonders gut untersuchen.
Das Felsenmeer auf den südschwedischen Hochplateaus ist ein ziemlich raues Arbeitsumfeld, aber es scheint, als fühle sich Jansen in solchen Umgebungen besonders wohl. Er liebt die Verbindung von intellektueller und physischer Arbeit, die seine Tätigkeit als Geowissenschaftler mit sich bringt: „Wir steigen mit schwerer Ausrüstung steile Berghänge hinauf, buddeln Löcher, gehen mit noch schwererem Gepäck, gefüllt mit Steinen und Sand fürs Labor, wieder hinunter – das ist ziemlich verrückt. Aber es macht auch Spaß“, sagt er lachend. „Am schönsten sind vielleicht die Wochen an abgelegenen Orten, zusammen mit Kollegen, die zuverlässig und hart arbeiten können und Spaß daran haben. Dabei kommt gute wissenschaftliche Arbeit heraus.“
Für diesen einzigartigen Weg ist Jansen dankbar. „Ich habe das Glück, seit meiner Promotion immer wieder mit einigen sehr klugen Leuten in herrlichen Landschaften zusammenzuarbeiten. Ich mag besonders trockene, steinige Orte, lande aber scheinbar immer an kalten, nassen Flecken“, scherzt er. So war er beispielsweise in Norwegen und sechs Jahre in Schottland, an der Universität von Glasgow, tätig. Vor allem die Zeit in Glasgow sorgte dafür, dass sich Jansens Forschungsinteressen grundlegend änderten. Bis dahin hatte er sich hauptsächlich mit der Geomorphologie von ausgetrockneten Flüssen beschäftigt. Glaziale Landschaften hatte er nur selten besucht, geschweige denn dort gearbeitet. „Das schottische Hochland eröffnete mir eine neue Welt von Prozessen, die mit Eis zusammenhängen“, so der Forscher. Dabei untersuchte er, inwiefern Wasserfälle Aufschluss darüber geben können, wie sich postglaziale Landhebungen, wie die rasche Hebung der Erdkruste nach dem Abschmelzen des Eisschildes genannt wird, auf Flüsse auswirken. „Wir setzten kosmogene Nuklide ein und konnten so die Geschwindigkeit bestimmen, mit der sogenannte „knickpoints“ von Wasserfällen stromaufwärts wandern und sich dadurch tiefer in Täler einschneiden“, erklärt der Wissenschaftler. Kosmogene Nuklide entstehen im Oberflächengestein, wenn es von kosmischer Strahlung von explodierenden Supernovae getroffen wird. Jansen erklärt, dass er für seine Arbeit hochentwickelte Technik einsetze und mit Geochemikern und Beschleunigerphysikern zusammenarbeitet. „Die Kosmodatierung war schon etwas Besonderes und witzig, weil ich nicht einmal ein Telefon richtig bedienen kann!“
Von seiner Forschungsarbeit in Schottland war der Weg nicht weit nach Skandinavien. „Zunächst waren es die glazial-isostatischen Aufwölbungen, die mich in Skandinavien interessierten. Das schottische Hochland um Loch Linnhe hebt sich jährlich um zwei Millimeter. Das ist schon viel, aber im Norden Schwedens sind es bis zu zehn Millimeter pro Jahr!” Diese Hebungsraten gehören zwar zu den höchsten weltweit; sie führen aber nur zu einigen Hundert Metern insgesamt – kein Vergleich zu den kilometerhohen Gebirgsketten wie dem Himalaya oder den Anden. Es stellte sich heraus, dass die Flüsse in Schweden nicht die Kraft besitzen, durch Erosion der Hebung entgegenzuwirken, und stattdessen mit der sich hebenden Landschaft nach oben „getragen“ werden. Jansen fand heraus, dass die Erosion größtenteils unter dem Eis während des Abschmelzens erfolgt, wenn gewaltige Mengen von Schmelzwasser und Sediment innerhalb von nur ein oder zwei Jahrhunderten Schluchten in den Felsboden schneiden. „Das war eine erstaunliche Entdeckung. Unsere Ergebnisse dazu haben wir im vergangenen Jahr in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.“
Immer wieder widmet sich Jansen bei seiner Forschung auch extremen Ereignissen. Zuletzt reiste er im April 2015 zusammen mit Amelie Stolle und Wolfgang Schwanghart, Kollegen aus dem Potsdamer Geohazards-Team, nach Nepal, um sie bei ihrem Forschungsprojekt zu Überschwemmungskatastrophen zu unterstützen. „Es ist schwer, sich ein so gigantisches Ereignis vorzustellen, aber ungefähr fünf Kubikmeter Kies und Sand wurden vom Annapurna-Massiv in das Pokharatal getragen – wahrscheinlich durch eine Kombination aus Erdbeben, Erdrutschen und dem Kollaps eines zeitweiligen Sees oben im Gebirge“, erklärt Jansen. „Interessanterweise ist das alles vor nicht mehr als 800 Jahren passiert, was in der Geologie gerade einmal ‚gestern‘ ist.“ Solche Ereignisse in jüngster Vergangenheit zeigen die gewaltigen Veränderungen, die für diesen Teil der Welt typisch sind. Und tatsächlich hatten Jansen und seine Kollegen Glück, dass sie Kathmandu nur wenige Tage vor dem starken Erdbeben am 25. April verlassen hatten.
Zu Jansens wichtigsten Forschungsfeldern zählen die extreme Erosion und Ablagerungen während des Abschmelzens von Gletschern. Zusammen mit Martin Margold von der Universität Stockholm dokumentiert er den Umfang und zeitlichen Verlauf von Überschwemmungen, die mit dem Zusammenbruch eines gewaltigen Gletschersees in einem entlegenen Gebiet Sibiriens auftraten. „Es gab mehrere Überflutungen mit mehr als 200 Metern Höhe entlang des Witim-Lena-Gewässersystems in Richtung Nordpolarmeer, als riesige Platten des Inlandeises am Ende der letzten beiden Eiszeiten aufbrachen.“ Wenn derart gewaltige Mengen von Süßwasser in das Nordpolarmeer einströmen, kann dies große Auswirkungen auf das Klima in der nördlichen Hemisphäre haben. Jansen betont: „Wir wissen, dass das Klima Flüsse und Gletscher durch Niederschlag speist, aber bei den sibirischen Riesenüberschwemmungen könnten Oberflächenprozesse die Veränderungen im Klimasystem der Erde verursacht haben. Es ist kompliziert und immer wieder faszinierend.“
Die Feldforschung in Russland war für Jansen aber nicht nur wissenschaftlich spannend. „Ich interessiere mich für das Phänomen des Totalitarismus, seine Entstehung und seine möglichen Folgen“, erklärt er, „möglicherweise durch zu viel Lektüre von Orwell und Kundera als Teenager. Schon 2012 war Russland kein einfacher Ort für unsere Arbeit, aber aufgrund der jüngsten Ereignisse mussten wir weitere Arbeiten verschieben, bis sich etwas ändert. Aber wer weiß schon, wann das passieren wird“, sagt er bitter. Natürlich biete auch das Leben in einer Stadt, die einst in der DDR lag, eine historische Perspektive, die Jansen inspirierend findet. „Inmitten der letzten 80 Jahre deutscher Geschichte zu leben, bedeutet mir viel. Mein Vater ist Holländer, aber die Familie meines Vaters kam aus Deutschland.“
Bevor er im Dezember 2014 nach Potsdam zog, hatte er bereits einige Jahre in Skandinavien gearbeitet. Nach seiner Zeit in Glasgow ging er als Postdoc an die Universität Stockholm und machte sich hier mit der lange vorherrschenden Theorie vertraut, dass Norwegens Bergplateaus die Überreste von Rumpfgebirgen sind, deren flaches Erscheinungsbild vor mehr als 100 Millionen Jahren entstand – und zwar auf Höhe des Meeresspiegels. Die abgeflachten Gipfelgebiete werden auch als „Paleic Surface“ bezeichnet, was wörtlich „uralt“ bedeutet. Auch Jansen ist der Ansicht, dass „ihre Ursprünge wahrscheinlich sehr weit zurückliegen. Allerdings bezweifele ich, dass diese Flächen sich jemals in der Nähe des Meeresspiegels befanden. Und die Beweise dafür, dass es sich um mesozoische Rumpfebenen handelt, sind ziemlich dünn. Diese Ideen gehen auf die Arbeit von W.M. Davis vor mehr als einem Jahrhundert zurück, haben aber in einigen, entfernten Ecken der Geowissenschaftscommunity noch immer einen starken Einfluss.“
Jansen kritisiert indes das gesamte Konzept, Erosionslandschaften nach ihrem Alter zu beschreiben. „Diese Frage sollte sich viel mehr auf die Erosionsraten als das Alter konzentrieren. Bei genauerer Betrachtung erodiert fast jeder Teil einer Gebirgslandschaft, nur eben unterschiedlich stark: In einigen Regionen, wie Taiwan, sind es mehr als fünf Kilometer in einer Million Jahre, in Gebieten wie Zentralaustralien im gleichen Zeitraum weniger als ein Meter.“ Die Idee, Landschaften einem bestimmten Alter zuzuordnen, ist Jansens Ansicht nach inzwischen veraltet und nur in Ausnahmefällen noch hilfreich. „Mithilfe von kosmogenen Nukliden und Thermochronometrie können wir Erosionsraten sehr präzise und über große Zeitspannen bestimmen – ein revolutionärer Fortschritt in der Geowissenschaft. Wir nutzen diese neuen Verfahrensweisen in unserem Projekt, um die Entwicklung des skandinavischen Gebirges zu verstehen.“
Die Erosion in den skandinavischen Hochebenen geht nur sehr langsam voran, aber über entsprechend lange Zeiträume zeigt selbst ein derart langsamer Prozess Wirkung. Während der letzten zwei bis drei Millionen Jahre haben Gletscher in einigen Gebieten Täler und Fjorde von mehr als zwei Kilometern Tiefe eingeschnitten. Doch die Hochebenen des skandinavischen Felsenmeers, die sich zwischen tiefen Tälern erstrecken, waren mehr als zehn Millionen Jahre lang intensiven Frosteinwirkungen ausgesetzt „Wir wissen, dass Frost-Tau-Zyklen Gestein aufbrechen und es talwärts transportieren, einen diffusionsartigen Vorgang, den wir als ‚Frostkriechen‘ bezeichnen“, so Jansen. „Wir sind gerade dabei, mathematische Modelle mithilfe der Ergebnisse unserer Feldforschung und den Messungen kosmogener Nuklide zu kalibrieren, um dann unsere Hypothese zu überprüfen, dass Frosteinwirkung im Verlauf von vielen Millionen Jahren zu einer topografischen Glättung führen kann. Mit anderen Worten: Die Plateaus der Hochgebirgsketten, wie in Norwegen und Grönland, könnten allein durch kalte Klimaprozesse entstanden sein – völlig unabhängig von tektonischen Prozessen.“
Als BRAIN Fellow gehört Jansen seit Dezember 2014 zur Forschungsgruppe von Oliver Korup, Professor für Geohazards am Institut für Erd- und Umweltwissenschaften. „Oliver hat ein Team talentierter Wissenschaftler zusammengestellt. In Potsdam gibt es Experten auf nahezu jedem Gebiet der Geowissenschaften“, schwärmt er. Jansen wird außerdem mit Kollegen in Dänemark, Schweden und Australien zusammenarbeiten. Ein derart internationales Projekt erfordert einen kosmopolitischen Lebensstil, man reist viel. „Am wichtigsten ist dabei“, sagt Jansen, „dass ich immer versuche, mein altes Drei-Gang-Fahrrad mitzunehmen. Es ist schwer wie ein Traktor, aber perfekt für schneereiche Wintertage und um in den nahe gelegenen Wäldern Dampf abzulassen.“
Der Wissenschaftler
John D. Jansen, Ph.D. studierte Geologie am Bendigo College. 2001 promovierte er an der Macquarie University in Sydney. Danach war er unter anderem an der University of Wollongong, der University of Glasgow, der University of New South Wales und der Stockholm University tätig. Seit Dezember 2014 ist er Marie Skłodowska-Curie Fellow am Institut für Erd- und Umweltwissenschaften der Universität Potsdam.
Kontakt
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Institut für Erd- und Umweltwissenschaften
Karl-Liebknecht-Str. 24–25, 14476 Potsdam
E-Mail: john.jansenuuni-potsdampde
Text: Matthias Zimmermann/John D. Jansen
Online gestellt: Agnes Bressa
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