Das Ziel ist ambitioniert: Im Jahr 2025 soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix mindestens 40 Prozent, im Jahr 2035 mindestens 55 Prozent betragen. Auf dem Weg zur Energiewende entstehen neue Windparks, Solarfelder, Biogasanlagen und Stromtrassen. Bei der lokalen Bevölkerung stoßen diese jedoch teilweise auf erbitterten Widerstand. Verwaltungswissenschaftler der Universität Potsdam untersuchen daher, wie Kommunen und Akteure diese Vorhaben umsetzen und wie die Bürger daran beteiligt werden.
Sie heißen „Gegenwind“, „Landschaftsschützer“ oder „Rette deinen Wald“ – lokale Bürgerinitiativen entstehen oft dort, wo die Energiewende sichtbar wird. Ihre Mitglieder protestieren gegen eine „Verspargelung der Landschaft“, gegen Lärmbelästigung oder die Gefährdung von Vögeln durch rotierende Windräder. Mitunter stellen sie auch den Sinn und die Umsetzung der Energiewende infrage oder bestreiten einen menschengemachten Klimawandel. Während die Energiewende in der Gesamtbevölkerung breite Unterstützung findet, formieren sich – meist auf kommunaler Ebene – Bündnisse, die sich gegen deren Umsetzung auflehnen.
Warum stoßen Projekte der Energiewende vielerorts auf Unbehagen oder gar Wut? Ist es lediglich das sogenannte „NIMBY-Syndrom“ („not in my backyard“ – nicht in meinem Vorgarten), das die Gegner von Windkraftanlagen, Stromtrassen oder Solarfeldern aus Angst vor konkreten persönlichen Nachteilen antreibt? Oder stehen komplexere Motive hinter den Protesten? Unter welchen Bedingungen würden die Gegner ihre Meinung ändern? Und welche Rolle spielt die Bürgerbeteiligung in der Planungs- und Umsetzungsphase? Nach Antworten auf diese und ähnliche Fragen suchen derzeit Politikwissenschaftler, Klimaforscher und Sozialwissenschaftler im Projekt „Energiekonflikte – Akzeptanzkriterien und Gerechtigkeitsvorstellungen unterschiedlicher erneuerbarer Energiesysteme“. Es ist eines von 33 Teilprojekten im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierten Rahmenprogramm „Forschung für nachhaltige Entwicklungen“ mit dem Förderschwerpunkt sozial-ökologische Forschung, das die zentralen Fragen der Energie- und Rohstoffversorgung der nahen Zukunft in den Fokus nimmt.
Insgesamt vier Projektpartner untersuchen „Energiekonflikte“ aus unterschiedlichen Perspektiven und nehmen dabei die drei Beispielregionen Brandenburg-Berlin, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg genauer unter die Lupe. Neben der Universität Potsdam sind die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung e.V. und das Institut für Planung, Kommunikation und Prozessmanagement GmbH „Raum & Energie“ beteiligt.
Jochen Franzke, Professor für Verwaltungswissenschaft an der Universität Potsdam, leitet den Schwerpunkt „Planungsverfahren und Beteiligungsmodelle“. Darin untersuchen die Forscher, wie Behörden und Unternehmen Energiewendeprojekte in die Praxis umsetzen und wie die Bevölkerung darauf reagiert. Am Beispiel der Stadt Beelitz zeigt sich, dass es meist bereits in der Planungsphase kritisch wird: 15 Windräder sollen in direkter Umgebung der brandenburgischen Kleinstadt stehen. Derzeit läuft der Antrag auf Genehmigung der Anlagen. Mehrere Bürgerinitiativen wehren sich gegen die Pläne und haben sich bereits zu einem Verein zusammengeschlossen. „Wir als Forscher untersuchen, wie sich dieser Konflikt zeigt und wie sich die einzelnen Akteure verhalten“, erklärt Projektmitarbeiter Thomas Ludewig.
Um das herauszufinden, gehen die Forscher direkt auf die Konfliktparteien zu. Projektgegner, Behörden und Unternehmen sollen im Gespräch ihre jeweilige Sichtweise beschreiben. Meist erfahren die Wissenschaftler aus den Medien, wo sich Konflikte anbahnen, die sie dann gezielt untersuchen können. Derzeit beobachten sie etwa zehn Projekte. Wie werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen bewertet? Wie sieht die „Planungskultur“ – also die Interpretation und Umsetzung der gesetzlich vorgegebenen Handlungsspielräume – aus? Wie werden Projekte durch das Zusammenspiel aller Akteure betrachtet und realisiert? Auf diese Fragen wollen die Forscher von den verschiedenen Streitparteien Antworten erhalten. In den Gesprächen, die Thomas Ludewig mit den Beteiligten führt, zeigt sich: „Die Akteure argumentieren häufig auf verschiedenen Ebenen.“ Auf der einen Seite stünden die Behörden, die einen Projektantrag innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen entweder ablehnen oder genehmigen müssen, auf der anderen Seite seien besorgte und direkt betroffene Bürger, die die Projekte nicht selten generell infrage stellten.
Stein des Anstoßes sei oft, dass sich Anwohner und Bürger nicht genügend informiert fühlten, fassen die Wissenschaftler den ersten Eindruck ihrer Untersuchungen zusammen. Mit der Veröffentlichung der Bauvorhaben, meist im Amtsblatt, und der Auslage oft unverständlicher Antragsunterlagen in Amtsstuben, haben die Behörden ihrer gesetzlichen Informationspflicht zwar Genüge getan – doch: „Wer liest denn das tatsächlich?“, fragt Thomas Ludewig. Damit die Betroffenen sich nicht überrumpelt fühlten, müssten modernere Informationsmittel eingesetzt werden. Auch über die gesetzlich festgeschriebenen Informationspflichten hinaus.
Der Stromnetzbetreiber 50Hertz macht es vor: Das in Berlin ansässige Unternehmen unterzeichnete mit der Brandenburger Landesregierung eine Vereinbarung zum Bürgerdialog. 50Hertz verpflichtet sich darin, die Menschen vor Ort bei Netzausbauprojekten frühzeitig einzubeziehen. Information versteht der Netzbetreiber als Schlüssel für die Akzeptanz von Energiewendeprojekten. Mit einem mobilen Bürgerbüro und Infomärkten vor Ort informiert 50Hertz etwa über aktuelle Planungsstände, Trassenstandorte, die verwendete Technik oder Ausgleichsmaßnahmen.
Damit nehmen die Betreiber gleichzeitig auch jenen den Wind aus den Segeln, die als selbsternannte Experten gegen die Energiewende wettern und Konflikte anheizen. Zunehmend schlössen sich die einzelnen Bürgerinitiativen auf Plattformen zusammen, auf denen Lobbyisten teilweise haarsträubende Argumente gegen die Energiewende äußerten, beobachtet Thomas Ludewig. „Es werden Ängste geschürt und Unwahrheiten verbreitet.“ Und auch die Medien spielen im Energiewende-Diskurs eine eher unrühmliche Rolle: „Es sind nur sehr wenige Menschen direkt betroffen, doch die Medienwirksamkeit dieser Leute ist besonders stark“, erklärt Jochen Franzke. „Die Berichterstattung der Lokalpresse ist oft sehr emotional und schlecht recherchiert“, ergänzt Thomas Ludewig. Dennoch dürfe dabei nicht vergessen werden, dass es auch fundierte kritische Standpunkte gebe, mit denen man sich im Entscheidungsverfahren gründlich auseinandersetzen sollte, betont Ludewig.
Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen werden Jochen Franzke und Thomas Ludewig benutzen, um konkrete Handlungsempfehlungen für kommunale Verwaltungen und Behörden zu erarbeiten. „Unsere Aufgabe ist festzustellen, wo man Bürgerbeteiligung verbessern oder zusätzlich einführen kann“, so Jochen Franzke. „Es gibt eine Grundstimmung in der Gesellschaft für mehr Bürgerbeteiligung – das ist ein sehr positiv besetzter Begriff“, erklärt der Verwaltungswissenschaftler. „Wir diskutieren, wie das praktisch auszusehen hat – in den Planungs- und Genehmigungsverfahren.“ Doch dabei haben die Forscher immer auch das Ergebnis im Blick: „Am Ende muss man die Stromleitungen bauen“, betont Franzke. „Bürgerbeteiligung ist kein Selbstzweck.“
Das Projekt
Das Forschungsprojekt 'Energiekonflikte – Akzeptanzkriterien und Gerechtigkeitsvorstellungen in der Energiewende' ist eines von insgesamt 33 Teilprojekten im Rahmenprogramm „Forschung für nachhaltige Entwicklung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Im interdisziplinären Projekt analysieren drei wissenschaftliche Einrichtungen und ein externer Projektpartner konkrete Konfliktfälle aus dem Bereich der Energiewende.
Beteiligt: Universität Potsdam, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung e.V., Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Raum & Energie Institut für Planung, Kommunikation und Prozessmanagement GmbH
Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung
Förderzeitraum: 2013–2016
Internetseite: www.energiekonflikte.de
Die Wissenschaftler
Apl. Prof. Dr. Jochen Franzke studierte Außenpolitik in Potsdam und ist seit 2008 außerplanmäßiger Professor für Verwaltungswissenschaft. Neben Fragen zu kommunalen Verwaltungsreformen und der lokalen Demokratie erforscht er Wandlungsprozesse in der Europäischen Union sowie in Mittel- und Osteuropa.
Kontakt
Universität Potsdam
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
August-Bebel-Str. 89
14482 Potsdam
E-Mail: franzkeuuni-potsdampde
Thomas Ludewig studierte Regionalwissenschaften an der Universität Potsdam und promoviert derzeit am Lehrstuhl für Verwaltungswissenschaft.
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E-Mail: tludewiguuni-potsdampde
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde