Mit dem bloßen Auge sieht man sie nicht. Nur wenn sie massenhaft auftreten, färben sie das Wasser grün. Aquatische Mikroalgen sind winzig kleine Lebewesen, die meist nur aus einer einzigen, manchmal auch aus wenigen zusammenhängenden Zellen bestehen. Die Biologinnen Elly Spijkerman und Sabrina Lachmann interessieren sich für die Kohlenstoffaufnahme dieser Organismen. Denn wie grüne Landpflanzen besitzen auch Algen Chlorophyll und betreiben Photosynthese. Die unscheinbaren Winzlinge spielen im globalen Kohlenstoffkreislauf eine wichtige Rolle: In Flüssen, Seen und vor allem Ozeanen fixieren sie einen erheblichen Teil des klimarelevanten Gases Kohlendioxid (CO2). Dabei scheinen verschiedene Algenarten unterschiedliche Strategien der CO2-Fixierung zu nutzen. Elly Spijkerman und Sabrina Lachmann vom Lehrstuhl für Ökologie und Ökosystemmodellierung möchten herausfinden, welche Stoffwechselwege die Algen nutzen können und welche Umwelteigenschaften diese beeinflussen.
In den Klimaschränken des Labors haben die Algen alles, was sie brauchen: Hier stehen die kleinen Kulturkolben in Reihen auf den Regalen, bei einer konstanten Temperatur von 20 Grad Celsius und 16 Stunden Licht am Tag. Chlamydomonas acidophila, Chlorella emersonii oder Chlamydomonas pitschmannii steht auf den Glasgefäßen. Es sind die Namen der Algen, die hier in einem Nährmedium schwimmen, das alle für sie lebensnotwendigen Stoffe enthält: Hauptsächlich sind das die Nährstoffe Phosphor und Stickstoff sowie verschiedene Spurenelemente. Und natürlich anorganischer Kohlenstoff. Diesen benötigen die Algen, um Photosynthese zu betreiben und Biomasse aufzubauen.
Sabrina Lachmann untersucht in ihrer Doktorarbeit, wie diese drei Algenarten, die in unterschiedlichen Gewässerökosystemen vorkommen, Kohlenstoff aufnehmen. Denn jede von ihnen scheint dafür eine ganz eigene Strategie entwickelt zu haben. „Die Aufnahme des Kohlenstoffs ist abhängig vom pH-Wert“, erklärt Sabrina Lachmann. Die Ursache dafür: Kohlenstoff ist nicht gleich Kohlenstoff. Um dies zu verstehen, muss man ein wenig in die Materie der Wasserchemie einsteigen. So gibt es im Wasser hauptsächlich zwei anorganische Kohlenstoffquellen, die für Algen als Ausgangsstoff für die Photosynthese nutzbar sind: CO2 und Bicarbonat. Je höher der pH-Wert, desto weniger CO2 und mehr Bicarbonat ist vorhanden. Umgekehrt gilt dasselbe.
Elly Spijkerman hält ein Röhrchen in die Höhe. Die Flüssigkeit hat einen grünlich-braunen Schimmer. „Bei einem pH-Wert von mehr als 6,3 liegt anorganischer Kohlenstoff hauptsächlich als Bicarbonat vor – damit kann diese Alge überhaupt nichts anfangen“, sagt die Biologin, die Sabrina Lachmann während ihrer Doktorarbeit betreut. Das Glasröhrchen enthält eine Kultur von Chlamydomonas acidophila. Diese Alge, die dem Namen nach „das Saure liebt“ und etwa in extrem sauren Tagebaurestseen der Lausitz vorkommt, würde also „verhungern“, stünde ihr lediglich Bicarbonat zur Verfügung. Ihr fehlt der entsprechende Transportmechanismus, um sich von dieser Form des Kohlenstoffs zu ernähren.
In den meisten Flüssen, Seen oder Meeren ist Kohlendioxid in sehr geringen, Bicarbonat dagegen in höheren Mengen vorhanden. Allerdings benötigen die Algen einen speziellen Transporter, um Bicarbonat als Kohlenstoffquelle nutzen zu können. Das ist ein Nachteil, denn dieser benötigt zusätzliche Energie und Nährstoffe. Für Gewässerökologen ist es daher eine spannende Frage, welche Strategie der Kohlenstoffaufnahme sich unter welchen Lebensbedingungen auszahlt.
„Wir wollen die Mechanismen der Kohlenstoffaufnahme und die Auswirkungen auf das Ökosystem verstehen“, beschreibt Elly Spijkerman das Ziel ihrer Untersuchungen. Dafür haben die Biologinnen Wachstumsversuche mit unterschiedlichen Algen und unter verschiedenen Bedingungen durchgeführt. So ließen sie die Algenarten einmal mit einer guten Nährstoffversorgung und einmal mit Nährstoffmangel wachsen. Regelmäßig untersuchten sie den pH-Wert der Kulturen. „Durch die Photosynthese ändern die Algen den pH-Wert des Mediums, in dem sie wachsen“, erklärt Sabrina Lachmann. Dieser steigt an – bis schließlich der gesamte nutzbare Kohlenstoff aufgebraucht ist. Mit diesem Experiment fanden die Wissenschaftlerinnen heraus, welche Form des Kohlenstoffs die verschiedenen Arten nutzen können und ob die Nährstoffversorgung einen Einfluss darauf hat.
Die Ergebnisse dieses und vorangegangener Experimente zeigen, wie komplex das System der Kohlenstoffaufnahme ist. „Das Spannende ist, dass es zum einen zwei verschiedene Kohlenstoffquellen für Algen gibt und dass die Algen zum anderen für jede Quelle drei bis vier unterschiedliche Mechanismen haben können, um den Kohlenstoff in die Zelle einzuschleusen“, verdeutlicht Elly Spijkerman. Und jede einzelne Strategie erfordert verschiedene physiologische Anpassungen.
Wie schon erwähnt, liebt es etwa Chlamydomonas acidophila sauer. Die Alge kommt weltweit in sauren Gewässern vor – bei pH-Werten zwischen 1,5 und 5 – und nutzt ausschließlich CO2 für die Photosynthese. Für Bicarbonat hat sie kein Aufnahmesystem. Diese Strategie erfordert wenig Energie und Nährstoffe, zahlt sich aber nur aus, wenn genügend CO2 vorhanden ist. Chlorella emersonii ist dagegen „eine normale Alge, die in neutralen Gewässern vorkommt“, so Elly Spijkerman. Sie nutzt CO2 und auch Bicarbonat. Das erhöht aber ihren Nährstoffbedarf. Unter Nährstoffmangel wird die Alge deshalb in ihrer Kohlenstoffaufnahme gehemmt. Sind genügend Nährstoffe vorhanden, hat sie jedoch gegenüber anderen Arten den Vorteil, gleich auf zwei Kohlenstoffquellen zugreifen zu können. Dagegen scheint die dritte Alge ein wahres Multitalent zu sein: Chlamydomonas pitschmannii wächst sowohl in saurem als auch in alkalischem Wasser und mag es auch ein bisschen heißer – neben CO2 verwertet sie offensichtlich auch Bicarbonat. Wie diese Alge auf Nährstoffmangel reagiert, untersuchen die zwei Wissenschaftlerinnen derzeit.
Unter welchen Bedingungen Algen am effizientesten Kohlenstoff aufnehmen und Biomasse aufbauen können, ist nicht nur für Biologen interessant. Das Wissen darüber, wie sie sich physiologisch anpassen, um die jeweiligen Kohlenstoffquellen optimal zu nutzen, könnte zukünftig auch für die industrielle Produktion von Biomasse wichtig sein. Zumal Algenaquakulturen im Gegensatz zu Biomassekulturen wie Mais oder Raps nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen, da sie keine Ackerflächen verbrauchen. Seit Jahren wird bereits erforscht, wie Mikroalgen als Rohstoffquelle der Zukunft genutzt werden können. Die Physiologie der Organismen ist dabei von entscheidender Bedeutung. Denn je weniger Energie eine Zelle für Transport- oder Umwandlungsprozesse aufwenden muss, desto mehr Energie hat sie für ihr Wachstum zur Verfügung. Und desto höher sind die Erträge.
Elly Spijkerman wird ihr Wissen demnächst auch in der Praxis anwenden können: In Kürze wird sie nicht mehr an der Universität, sondern in einem Berliner Unternehmen forschen. Dieses produziert aus marinen Blaualgen Ethanol – einen Ausgangsstoff für Biokraftstoffe. „Dann werde ich mich tatsächlich für die kommerzielle Nutzung von Mikroalgen einsetzen“, so die Forscherin.
Die Wissenschaftlerinnen
Dr. Elly Spijkerman studierte Biologie an der Universität von Amsterdam. Seit 2002 arbeitet sie an der Universität Potsdam und untersucht, wie Stressfaktoren die Physiologie der Algen beeinflussen. 2015 wechselt sie in ein Unternehmen, das sich mit der kommerziellen Nutzung von Mikroalgen befasst.
Kontakt
Universität Potsdam
Institut für Biochemie und Biologie
Maulbeerallee 2
14469 Potsdam
E-Mail: spijkeruuni-potsdampde
Sabrina Lachmann studierte Biowissenschaften und Ökologie an der Universität Potsdam und schreibt seit 2013 an ihrer Doktorarbeit. Darin untersucht sie die Kohlenstoffaufnahme in verschiedenen Algenarten.
Kontakt
E-Mail: salachmauuni-potsdampde
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde