Wir beginnen den heutigen Feiertag (den „Freedom Day“) sehr sportlich. Schon morgens um sieben drehen sechs Studierende und Herr Prof. Dr. Wolf ein paar Runden um den Block. Beim anschließenden Frühstück stärken wir uns für den heutigen Ausflug nach Johannesburg. Mit zwei Autos und gemischten Gefühlen machen wir uns gegen neun Uhr auf den Weg in eine der am dichtesten besiedelten Metropolen Afrikas. Sie zählt zu den gefährlichsten Städten der Welt, was bei vielen Exkursionsteilnehmenden ein mulmiges Gefühl aufkommen lässt.
In Johannesburg angekommen, besuchen wir zuerst das Apartheid-Museum. Anlässlich des Freedom Day ist der Eintritt frei. An diesem Tag wird das Ende der Apartheid gefeiert – die Zeit des Rassismus, der Rassentrennung und schließlich für den Widerstand der unterdrückten schwarzen Bevölkerung in den Jahren 1948 bis 1994. Sie endete mit der Wahl Nelson Mandelas zum ersten demokratisch legitimierten Präsidenten Südafrikas.
Unsere Köpfe sind voller Eindrücke und Bilder: Links oder rechts, weiß oder schwarz, europäisch oder farbig? Schon der Eingang in das Museum zeigt auf schmerzhafte Weise die Unmenschlichkeit eines Systems, das noch kein Jahrhundert zurückliegt. Anhand der Eintrittskarte wird – wie zufällig – entschieden, durch welchen Eingang man die Ausstellung betreten darf. Mit alten Ausweisdokumenten wird anschaulich belegt, wie penibel und willkürlich die Ausgrenzungen im Apartheid-System tatsächlich waren. Es wechselten Weiße in den Status von Farbigen, Indigene wurden zu Asiaten oder Europäer sahen ihren Status auf den der einheimischen Schwarzen reduziert. Wie erkennt man jemandem einen anderen ethnischen Status zu? Im Falle des südafrikanischen Systems genügte ein sogenannter „Pencil-Test“: Blieb ein Bleistift im Haar hängen anstatt hindurchzufallen, wurde ein weißhäutiger Europäer kurzerhand zum rechtlosen Afrikaner.
Das Museum teilt sich in die Dauerausstellung über die Zeit der Apartheid und die Sonderausstellung, die dem Leben von Nelson Mandela gewidmet ist. Seinem Aufwachsen in traditioneller und konservativer dörflicher Umgebung steht sein progressives Studium des Rechts gegenüber. Nelson, der Familienmensch, und Mandela, der starrköpfige Anführer, zeigen ihn in einer, uns bis dahin unbekannten Nähe. Trotz seines 27 Jahre dauernden Leidensweges in den Foltergefängnissen der Apartheidregierung und zahllose persönliche Tiefschläge lässt die zierliche, aber klare Handschrift seiner Briefe aus der Gefangenschaft in seine ungebrochene Seele blicken. Die Inspiration, die Mandela für Menschen auf der ganzen Welt darstellt, wird durch Bündel farbiger Holzstäbe, die für die verschiedenen Seiten seiner Ideologie stehen, repräsentiert und von jedem Besucher erweitert. Im letzten Raum, begleitet von musikalischen Hymnen auf Mandelas Leben, fällt uns eine Besucherin besonders ins Auge. Eine junge afrikanische Mutter, die ihre etwa acht Jahre alte Tochter mit Freude und Stolz in den Augen über diesen Giganten von Mensch aufklärt. Immer wieder zieht sie das kleine Mädchen zu sich heran und erklärt eine weitere Etappe auf dem Weg aus der Apartheid. Das emotionale Hoch, das die Mandela-Ausstellung in uns hervorruft, lässt uns umso tiefer stürzen, als wir die Hauptausstellung des Museums betreten.
Videoinstallationen und Audioaufnahmen schaffen eine konstante Geräuschkulisse. Fotos von verhafteten Afrikanern, Überfällen auf Dörfer und deren Konsequenzen erinnern an die Dokumentationen der Gewalttaten der Nationalsozialisten. Die dunklen und engen Räume verschärfen unsere ohnehin bedrückte Stimmung. Der Kontrast zwischen den unzähligen herabhängenden Galgensträngen und der Aufmachung der „Friedensmaschinerie“ lassen ein unerklärliches Gefühl der Schuld zurück.
Aber auch eine andere, in deutschen Schulen weitestgehend unbehandelte Seite jener Zeit wird beleuchtet. Massaker, wie das von Soweto, sind in ihrer Unfassbarkeit ebenso surreal wie die Menschenrechtsverletzungen durch den ANC. Die Aufnahmen der Straßenkämpfe, nur wenige Jahre zurück, hinterlassen uns alle sprachlos und nachdenklich, noch bis lange in den Tag hinein.
Weiter geht es mit einer Red-Bus Sightseeing Tour durch Johannesburg. Wir passieren Sehenswürdigkeiten wie den Ghandi Square, den Mining District und die Gautrain Park Station. Am Constitution Hill, dem legislativen, judikativen und exekutiven Zentrum der Apartheid-Regierung, steht eine immer brennende Flamme, die symbolisch für die Demokratie steht. Auffällig ist der Unterschied zwischen modernen Hochglanzgebäuden und der immer wieder gähnenden Leere verlassener Gebäude. Dazwischen sitzen oder liegen, selbst in der Innenstadt, die zahlreichen Obdachlosen mit ihrem wenigen Hab und Gut an den Straßenrändern. Am 223 Meter hohen Carlton Center verlassen wir den Bus und werden von einem Tour Guide empfangen, der uns in das 50. Stockwerk begleitet. Vom höchsten Gebäude Südafrikas bietet sich eine einzigartige Aussicht über Reichtum und Elend von Johannesburg. Im Anschluss daran wollen wir die Stadt auf eigenen Füßen erkunden, doch der Tour Guide rät uns ausdrücklich davon ab. Wir lassen uns allerdings nicht abhalten und fragen zwei Studierende, die wir im Carlton Center treffen. Nach einer kurzen Fotosession erklären sie sich bereit, uns ein wenig herumzuführen. Von ihnen erfahren wir, dass in der Stadt tatsächlich eine sehr hohe Kriminalitätsrate herrscht und sogar sie als Einheimische sich in Acht nehmen müssen. Auf der Straße erregen wir – als offensichtlich einzige Europäer – große Aufmerksamkeit und ziehen Blicke auf uns. Der kleine und kurze „Stadtspaziergang“ währt nicht lange und wir sehen nur wenig von der Stadt. Zurück an der Bushaltestelle fangen uns zwei Security Guards ab, die uns auffordern mit ihnen auf Redbus zu warten, der uns wieder zum Apartheid-Museum bringt. Dort werden wir abgeholt und es geht zurück zu unserer Unterkunft.
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Text: Joana Schmidt und Julius Wolf
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