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Ein Tagesmarsch zur Hebamme – Verwaltungsexperten evaluierten Neuansatz in Nepals Gesundheitssystem

Die Arbeit erwies sich als echte Feldforschung: Nachdem die Forscher von Kathmandu aus mit einem Propellerflugzeug nach Dhangadhi geflogen waren, legten sie noch mehr als 500 weitere Kilometer in der Tiefebene und im Mittelland Nepals zurück – mit dem Geländewagen. Foto: Bastian Jantz
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Die Arbeit erwies sich als echte Feldforschung: Nachdem die Forscher von Kathmandu aus mit einem Propellerflugzeug nach Dhangadhi geflogen waren, legten sie noch mehr als 500 weitere Kilometer in der Tiefebene und im Mittelland Nepals zurück – mit dem Geländewagen. Foto: Bastian Jantz

Wissenschaftler der Universität Potsdam waren in Nepal unterwegs, um die Auswirkungen eines von der Regierung aufgelegten Programms zur Dezentralisierung der Gesundheitsverwaltung in Augenschein zu nehmen. Von der Hauptstadt Kathmandu aus brachen sie in die weit im Westen liegenden Distrikte Doti und Kailali auf. Nepals Medizin-Sektor ist ein Pflegefall. Besonders in den Randregionen des Landes verhindern zentralistische Strukturen, dass Patienten angemessen medizinisch versorgt werden. Das zweijährige Projekt stand unter Leitung der Professoren Harald Fuhr und Werner Jann und endete 2013.

Problemlos einen Arzt aufsuchen zu können, wenn der Körper streikt, bei Beschwerden über genügend Medikamente zu verfügen oder unter guten Bedingungen ein Kind zu gebären – in Deutschland ist dies alles selbstverständlich. In Nepal dagegen sind die Menschen medizinisch unterversorgt und können von einer solchen Situation nur träumen. 2009/10 hat die nepalesische Regierung deshalb ein Pilot-Programm aufgelegt, mit dem sie zumindest teilweise die medizinische Betreuung verbessern wollte. Statt weiter ausschließlich auf eine stark zentralisierte Gesundheitsversorgung zu setzen, wurden den lokalen Verwaltungen in vier von insgesamt 75 Distrikten versuchsweise zusätzliche Mittel in Höhe von zweieinhalb bis vier Millionen nepalesischen Rupien – das sind rund 19.000 bis 30.000 Euro – zur freien Verfügung gestellt. Man erhoffte sich davon, dass nun mehr Mittel dort ankämen, wo sie am dringendsten gebraucht würden: in den Gebietskrankenhäusern oder in den kleinen Dorfhütten, in denen Pfleger und im besten Fall auch eine Hebamme ihren Dienst tun. In den Einrichtungen mangelt es eigentlich an allem: an ausgebildeten Ärzten, Medikamenten, Geräten. Nichts sollte nun dem Zufall überlassen werden. Minimum und Maximum der Geldzuweisungen für die einzelnen Gesundheitsebenen waren klar definiert.

An dem Projekt beteiligte sich früh die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Sie agierte in zwei der betroffenen Distrikte, Doti und Kailali, beide weit im Westen des Landes gelegen. Genau dort begleitete schließlich auch ein fünfköpfiges Team um Harald Fuhr, Professor für Internationale Politik an der Uni Potsdam, das Vorhaben. Wissenschaftler und GIZ stimmten sich in ihrer Arbeit eng miteinander ab und wurden zusätzlich unterstützt durch den Potsdamer Verwaltungs-Professor Werner Jann. „Wir haben keine konkreten Gesundheitsleistungen evaluiert, sondern danach geschaut, ob sich das Management, die Verwaltungsstrukturen vor Ort durch mehr Freiheit verändern“, erklärt Fuhr den Forschungsauftrag. Gespräche dazu hatte es im Vorab sowohl mit dem Gesundheitsministerium als auch mit dem Ministerium für lokale Entwicklung Nepals gegeben.

Die Wissenschaftler entwarfen ein Forschungsdesign, das sich als praktikabel erwies. Es diente nicht nur den Potsdamern dazu, klare Aussagen zu treffen, es bildete auch eine wichtige Handhabe für das Partner-Institut in der Hauptstadt Kathmandu. Der Aufbau lokaler wissenschaftlicher Kapazitäten war von Beginn an fester Bestandteil des Projekts. Die Experten aus Nepal wurden so in die Lage versetzt, die Evaluation zu unterstützen und teilweise selbst durchzuführen. Welche Arbeitsabläufe gibt es in der jeweiligen Einrichtung? Wie ist sie und vor allem ihr Management aufgebaut? Und was wird mit dem zusätzlichen Geld passieren? Diese und andere Fragen waren es, die die Teammitglieder zunächst in einer ersten Bestandsaufnahme stellten. Als die Mittel schließlich flossen, beobachteten sie, ob Veränderungen einsetzten. Ihr Forschungsdesign unterschied dabei drei Gruppen: In der ersten erfolgten keinerlei Veränderungen der institutionellen Rahmenbedingungen und der finanziellen Ausstattung, in der zweiten wurde das Reformprogramm zur Dezentralisierung der Gesundheitsleistungen implementiert, jedoch ohne ergänzende Unterstützung durch die GIZ, und die dritte kam in den Genuss der Förderung durch beide Seiten. „Wir arbeiteten so praktisch unter Laborbedingungen. Das gibt es in den Sozialwissenschaften eher selten“, erklärt Fuhrs Mitarbeiter Bastian Jantz. „Die Kontrollgruppen eigneten sich gut dafür herauszufinden, wie die Maßnahmen wirkten.“

Die Arbeit erwies sich als echte Feldforschung: Nachdem die Forscher von Kathmandu aus mit einem Propellerflugzeug nach Dhangadhi geflogen waren, legten sie noch mehr als 500 weitere Kilometer in der Tiefebene und im Mittelland Nepals zurück – mit dem Geländewagen. „Die Straßen in Nepal sind gar nicht so schlecht“, beschreibt Bastian Jantz die Lage. „Man sieht hin und wieder ein Moped, aber kaum Autos“, erzählt der Wissenschaftler und verdeutlich damit ein weiteres Problem: Für viele Nepalesen sind große Entfernungen schlecht zu überwinden, da es schlicht an entsprechenden Fahrzeugen mangelt. Die untersuchten Distrikte Doti und Kailali liegen inmitten einer bergigen Landschaft. Die Dörfer sind hier nur schwer zu erreichen und weit voneinander entfernt. „Es kann schon einmal vorkommen, dass eine Schwangere aus einem sehr abgelegenen Gebiet einen Tagesmarsch auf sich nehmen muss, um ihr Kind bei einer Hebamme entbinden zu können“, so Jantz.

Für das Forschungsteam war dieses Gebiet mit seinem unwegsamen Gelände ideal. Denn gerade hier ist lokale Verantwortung besonders gefragt. Insgesamt 38 der 95 Dörfer und Siedlungen profitierten vom Programm, zehn davon mit zusätzlicher GIZ-Unterstützung. Sie und zwölf nicht involvierte Orte wurden zur Evaluation herangezogen. Das Uni-Team besuchte rund zehn unterschiedliche Gesundheitseinrichtungen und sprach darüber hinaus mit lokalen Verantwortlichen. „Sehr schlimm waren die Reiseetappen aber nicht“, erinnert sich Bastian Jantz. „An das scharfe Essen konnte man sich gewöhnen und auch die fehlenden Heizungen und das kalte Wasser in den Herbergen waren mit einem dicken Pulli und ein wenig Abhärtung zu ertragen.“ Als erschreckender erwiesen sich vielmehr die Zustände in den Krankenhäusern. „Die haben uns schon betroffen gemacht, insbesondere die mangelnde Hygiene.“

Wenn Bastian Jantz an die zweieinhalbwöchige Reise zurückdenkt, fallen ihm vor allem die Menschen wieder ein, die überaus freundlich und offen und trotz des offensichtlichen Mangels auch glücklich seien. „Wenn wir in die Dörfer kamen, wurden wir gleich herzlich begrüßt, die Leute wollten sofort mit uns ins Gespräch kommen“, erzählt er.

Was die Forscher im Ergebnis ihrer Evaluation schließlich feststellten, stimmt vorsichtig optimistisch: Die Gesundheitsplanung hatte sich in den untersuchten Dörfern verbessert. Die lokale Bevölkerung war – und das ist ein ganz wichtiger Aspekt – bei der Diskussion über Schwerpunkte in den örtlichen Gesundheitsleistungen umfassender einbezogen worden. Es gab zusätzliche lokale Ressourcen und neue Qualitätsrichtlinien. Andere Indikatoren hingegen zeigten keinen oder nur einen geringfügigen Trend nach oben. Noch immer fehlten beispielsweise wichtige Medikamente.

„Wahrscheinlich waren das Zeitfenster und auch die einzelnen Gruppen zu klein“, vermutet Harald Fuhr. „Aber die Gesundheitsversorgung durch solche Maßnahmen zu verbessern, erfordert eben auch einen langen Atem.“ Er und seine Mitarbeiter haben alle erhobenen Daten den lokalen Experten in Politik und Wissenschaft übergeben. Das Forschungsinstitut in Kathmandu, das die Evaluation unterstützte, kann darauf aufbauen. Wie die Regierung mit den Resultaten umgeht, bleibt allerdings abzuwarten. Das Land ist instabil, die Machtverhältnisse und politischen Interessen ändern sich schnell.

Das Projekt

Evaluation der Auswirkungen von Dezentralisierung in der Gesundheitsverwaltung Nepals
Leitung: Prof. Dr. Harald Fuhr; Prof. Dr. Werner Jann
Laufzeit: 2011–2013
Förderung: Deutsche Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit (GIZ)

Die Projektleiter

Prof. Dr. Harald Fuhr studierte von 1972 bis 1979 Politische Wissenschaften, Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt/Main sowie der Philipps-Universität Marburg/Lahn; Promotion (1985) und Habilitation (1993) in Konstanz. Seit 1997 ist er an der Universität Potsdam Professor für Internationale Politik.
Kontakt
Universität Potsdam
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
August-Bebel-Str. 89, 14482 Potsdam
E-Mail: hfuhruni-potsdamde

Prof. Dr. Werner Jann studierte von 1970 bis 1976 Politikwissenschaft, Mathematik und Ökonomie in Berlin und Edinburgh (Schottland); Promotion (1982) und Habilitation (1989) an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Werner Jann ist seit 1993 Inhaber des Lehrstuhls Politikwissenschaft, Verwaltung, Organisation an der Universität Potsdam.

Kontakt

Universität Potsdam
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
August-Bebel-Straße 89, 14482 Potsdam
E-Mail: jannuni-potsdamde

Mitarbeit:
Bastian Jantz, Julka Jantz, Dr. Markus Seyfried

Text: Petra Görlich, Online gestellt. Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde