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Lebenslast – Wenn mit der Zeit der Rücken streikt

Wenn der Rücken streikt und im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr geht, haben sich zumeist viele kleinere und größere Belastungen summiert. Foto: Fotolia/Cello Armstrong
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Wenn der Rücken streikt und im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr geht, haben sich zumeist viele kleinere und größere Belastungen summiert. Foto: Fotolia/Cello Armstrong

Den Buckel krumm machen, die Angst im Nacken spüren, zu viel auf die Schultern laden – unsere Sprache ist voll von Bildern, die anzeigen, was zu Lasten des Rückens geht. Wer das zu lange ignoriert, bricht buchstäblich darunter zusammen. Bandscheibenvorfall heißt nicht selten die Diagnose. Im Forschungsverbund medizinische Rehabilitation wird an der Professur für Sport- und Gesundheitssoziologie untersucht, wie die Risiken solcher Erkrankungen erkannt und in der Therapie berücksichtigt werden können.

Der Schmerz kommt plötzlich, scheinbar aus heiterem Himmel. Tatsächlich aber hat er eine lange Vorgeschichte. Wenn der Rücken streikt und im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr geht, haben sich zumeist viele kleinere und größere Belastungen summiert. Das können einschneidende Ereignisse in der Kindheit gewesen sein, Entwicklungsprobleme in der Jugend, Anspannungen während der Ausbildung und schließlich der Stress im Beruf, Sorgen in der Familie, die Angst um den Arbeitsplatz. „Neben medizinischen Ursachen sind solche psychosozialen Faktoren bei Rückenproblemen bislang wenig beachtet worden“, sagt Prof. Dr. Pia-Maria Wippert vom Department Sport- und Gesundheitswissenschaften der Universität Potsdam. Daher untersucht sie mit ihrem Team kritische Verlaufspunkte sowie die Anhäufung von Risiken in der Entwicklung und im Langzeitverlauf orthopädischer Erkrankungen. Im Fokus stehen in diesem Projekt vor allem Patienten mit Bandscheibenvorfall oder Spinalkanalstenose, einer alters- und verschleißbedingten Verengung des Wirbelkanals.

Dank des Forschungsverbunds der Universität Potsdam mit Rehabilitationskliniken in Berlin und Brandenburg war es möglich, in den Median-Kliniken Hoppegarten und Kladow ausführlich mit Betroffenen zu sprechen. Die Wissenschaftler wollten dabei herausfinden, welche Risikofaktoren über die Lebensspanne zur Entwicklung der akuten oder chronischen Erkrankung beitragen und ob eine bestimmte Konstellation solcher Faktoren schon zu Therapiebeginn Voraussagen zulässt, wie gut sich die Patienten wieder erholen und in den Arbeitsalltag zurückfinden können. Damit könnte man bereits vor der Rehabilitation erkennen, ob Patienten besonders gefährdet sind, ob sie eine hohe Prävalenz für eine Chronifizierung der Schmerzen haben oder eine spezifische Therapie benötigen, um die Risiken zu minimieren.

Eines der Hauptrisiken ist anhaltender Stress, der die Ausschüttung von Hormonen, wie etwa Cortisol, verändert. Dies wiederum führt zu veränderten physiologischen Prozessen und begünstigt zum Beispiel Entzündungsprozesse. „Werden in der Lebensgeschichte der Patienten solche psychosozialen Belastungen erkannt, kann die klassische Therapie mit einer Verhaltenstherapie kombiniert werden, um zu erreichen, dass die Betroffenen in ihrem Leben etwas ändern“, so Pia-Maria Wippert. „Manchmal braucht es einen längeren Lernprozess, um nicht in alte krankmachende Verhaltensmuster zurückzufallen, sondern tatsächlich Stress abzubauen, Zeiten der Entspannung zu suchen, Sport zu treiben und belastende Konflikte zu lösen.“ Wichtig für die Patienten sei, den Negativkreislauf zu durchbrechen.

In einer Vorstudie haben Pia-Maria Wippert und ihr Team 30 Ärzte, Physio- und Ergotherapeuten befragt, um zu erfahren, in welcher Weise sie auf die konkreten Lebens- und Arbeitsumstände ihrer Patienten eingehen. Es zeigte sich, dass besonders der Zeitdruck ein limitierender Faktor ist. „Wir wollen deshalb ein Screening entwickeln, mit dem schon bei der Aufnahme der Patienten einzelne Risikofaktoren wie Stress, Bewegungsangst oder besondere biografische Ereignisse erfasst werden können.“ 

Die Daten aus der Hauptstudie, in der 160 Patienten bei Eintritt in die Rehabilitationsklinik und ein halbes Jahr nach der dreiwöchigen Rehabilitation befragt wurden, bilden hierfür die Grundlage. „Wir wollen herausfinden, warum sich manche Patienten relativ gut erholen, andere eher nicht“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Mitentscheidend ist, welche Betreuung sie außerhalb der Klinik erhalten und dass Ärzte, Therapeuten und Psychologen Hand in Hand arbeiten.“ Auch das soziale Umfeld müsse stimmen. Rückenprobleme wieder in den Griff zu bekommen, brauche Geduld und die Unterstützung von Partner und Familie, so Pia-Maria Wippert. 

Diesen ganzheitlichen Ansatz bringt sie derzeit auch in das bundesweite Forschungsnetzwerk MiSpEx ein, das von Prof. Dr. med. Frank Mayer von der Universität Potsdam geleitet wird. Es untersucht, inwieweit körperliche Aktivität die Prävention und Rehabilitation bei Rückenbeschwerden beeinflusst. Auch psychosoziale Faktoren werden dabei berücksichtigt, was von der Professorin koordiniert wird. Im Ergebnis wollen die Wissenschaftler Empfehlungen für eine individuell abgestimmte Diagnostik, Therapie und darauf aufbauende Trainingsprogramme ableiten.

Die Wissenschaftlerin

Prof. Dr. Pia-Maria Wippert studierte Sportwissenschaften, Prävention und Rehabilitation an der TU München, wo sie 2002 im Fachgebiet Soziologie promovierte und 2009 am Lehrstuhl Sportpsychologie habilitierte. Sie absolvierte zudem ein Zweitstudium im Fach Psychologie an der Fernuniversität Hagen mit dem Schwerpunkt auf soziale Prozesse. Weiterqualifikation für spezielle Schmerzpsychotherapie an der International School of Management in München. Seit 2010 ist sie Professorin für Sport- und Gesundheitssoziologie an der Universität Potsdam.

Kontakt

Universität Potsdam
Department Sport- und Gesundheitswissenschaften
Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam
wippertuni-potsdamde

Das Projekt

RehaLeb: Kritische Verlaufspunkte und die Akkumulation von Risiken in der Entwicklung und im Langzeitverlauf orthopädischer Erkrankungen (Laufzeit 2012-2014)
Förderung: Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg

forReha

Der „Forschungsverbund medizinische Rehabilitation“ vernetzt Berlin-Brandenburger Rehabilitationskliniken untereinander und mit der Universität Potsdam. Ziel ist eine qualitativ hochwertige patientenbezogene Rehabilitationsforschung. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf chronischen Krankheiten. Regelmäßige Treffen bieten ein Forum für den wissenschaftlichen Austausch innerhalb des Netzwerkes zwischen den Kliniken, Fachdisziplinen und verschiedenen Professionen und fokussieren darüber hinaus den Wissens transfer von Forschungsergebnissen in den klinischen Alltag.

Text: Antje Horn-Conrad, Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde