Steine wandern. Nicht nur in Hosentaschen oder Rucksäcken von verzückten Sammlern rund um die Welt. Steine gehen auch selbst durch Gestein: Von der Oberfläche gelangen sie kilometertief in die Erdkruste hinein – und sogar wieder zurück. Natürlich dauert das Millionen von Jahre. Aber wenn man sie jetzt ausfindig macht und ihnen „zuhört“, offenbaren sie Erstaunliches: darüber, wie die Erde sich im Laufe von Jahrmillionen verändert hat, und davon, welche Bedingungen in Tiefen herrschen, in die kein Mensch bislang vordringen konnte. Dr. Silvio Ferrero, Humboldt-Stipendiat am Institut für Erd- und Umweltwissenschaften, spürt ihrer Wanderschaft nach.
Silvio Ferrero ist Geowissenschaftler, spezialisiert auf metamorphe Gesteine. Diese entstehen, wenn Gestein enormem Druck und hohen Temperaturen ausgesetzt wird, wie sie in großer Tiefe herrschen. Gelangen an der Erdoberfläche anfallende Ablagerungen in tiefere Regionen der Erdkruste, verändern sie ihre Struktur, je nachdem, in welcher Umgebung sie sich befinden. Ferreros besondere Leidenschaft aber gilt Strukturen, die sich im Inneren von Steinen finden lassen, sogenannte Schmelzeinschlüsse. Verborgen in metamorphem Gestein, das in der Tiefe teilweise geschmolzen und auf dem Weg an die Oberfläche wieder ausgehärtet ist, bringen die Einschlüsse das Geheimnis ihrer Entstehung mit ans Licht: Während das metamorphe Gestein sich auf seiner Reise durch die Erdkruste beständig verändert, bewahren die Schmelzeinschlüsse mitunter den Zustand ihrer Entstehung. Und genau das macht sie so interessant für Geowissenschaftler, wie Ferrero erklärt: „Vereinfacht gesagt, zeigen sie – auf einem chemischen Level –, wie es da unten aussieht. Ihre Zusammensetzung und Beschaffenheit lassen Rückschlüsse darauf zu, in welcher Tiefe das Gestein sich einmal befunden hat – zu dem Zeitpunkt, als es schmolz und die Einschlüsse aufnahm.“
Silvio Ferrero ist ein Nanogranit-„Jäger“, zu seinen Werkzeugen zählen Elektronenmikroskop und Spektrometer. Die Einschlüsse, die er sucht, sind winzig, nur wenige Mikrometer – dem Tausendstel eines Millimeters – groß. Für ihn gerade richtig: „Ich war immer schon mehr an der Mikro-Ebene interessiert. Ich finde, dort liegt das Geheimnis der Dinge. Klar, hin und wieder muss man einen Schritt zurücktreten und die Ergebnisse in ‚das große Ganze‘ einordnen. Die Entwicklung dieser Steine zu verstehen, bedeutet letztlich mehr: Es ist ein Blick in die Erdgeschichte.“
Silvio Ferrero stammt aus dem Piemont im Nordwesten Italiens. Die Alpen liegen hier quasi vor der Haustür, man wächst mit ihnen auf. Ferrero selbst arbeitete als Schüler in den Ferien als Steinmetz – für ihn Ausgangspunkt seiner Leidenschaft, die ihn geradewegs an die Universität geführt hat. Während seines Geologiestudiums in Turin entwickelte diese sich indes weiter: vom Großen ins Kleine, vom Feld ins Labor, und es entstand seine Begeisterung für die Forschung. Mit dem Magisterabschluss in der Tasche stellte sich daher für ihn die Frage: Wirtschaft oder Wissenschaft? Doch SilvioFerrero überlegte nur kurz: „Wenn ich nach dem Studium in die Wirtschaft gegangen wäre, hätte ich in der Welt viel herumkommen können – auf der Suche nach Öl und anderen Rohstoffen. Aber dann hätte ich mich von dem verabschieden müssen, was mir wirklich am Herzen liegt: die Wissenschaft, die Erforschung kleinster Details mit dem Blick auf größere Zusammenhänge. Und das wollte ich nicht.“
Die Möglichkeit, eine Forscherlaufbahn einzuschlagen, fand er dann 2007 am geowissenschaftlichen Department der Universität Padua. Dort suchte eine Forschergruppe nach jenen winzigen Einschlüssen in metamorphem Gestein. Es waren seine Laborerfahrungen, die Ferrero die Türen öffneten: „Im Studium stürzten sich alle auf die Feldforschung, während ich mich meist im Labor wohler fühlte. In Padua suchten sie dann jemanden, der Erfahrung mit Mikroskopen hat.“
Nanogranite zu finden ist nicht leicht, sie zu „lesen“ noch schwerer. Bis heute sind kaum mehr als zehn Proben von ebenso wenigen Fundstellen bekannt. Als Silvio Ferrero in Padua zu forschen begann, waren es gerade einmal zwei. Das Team arbeitete dort mit Gesteinsproben aus einer ehemals vulkanisch aktiven Region in Südspanien und aus der südindischen Provinz Kerala. Während das aus Spanien stammende Gestein ein Vulkan in relativ kurzer Zeit an die Oberfläche gebracht hatte, waren die in Kerala gefundenen Proben im Laufe von vielen Millionen Jahren aus einer Tiefe von rund 25 Kilometern ans Tageslicht gelangt. Gemeinsam war ihnen ihr besonderes Inneres – kristallisierte, glasartige Einschlüsse, welche die Forscher schließlich zu identifizieren vermochten. Für die Analysen wurden die Proben in dünne Scheiben geschnitten, zwischen 100 und 250 Mikrometer dick. In diesen erst wurden die Wissenschaftler fündig: „Es brauchte enorm hochauflösende Techniken, sowohl im Bereich der Mikroskope als auch bei den chemischen Analyseinstrumenten, um die Einschlüsse zu charakterisieren“, sagt Silvio Ferrero. „Letztlich haben wir bereits bekannte Proben, also ‚alte Steine‘, mit einer viel höheren Auflösung untersucht als je zuvor – und dadurch die Einschlüsse genauer untersuchen können.“ Das Besondere: Es war den Wissenschaftlern damit gelungen, Produkte von Prozessen – strukturell und chemisch – zu beschreiben, die in einer unzugänglichen Tiefe in der Erde stattfinden. Indem anschließend die Einschlüsse unter Laborbedingungen abermals geschmolzen werden, ist es möglich, jene Bedingungen zu bestimmen, unter denen die originalen Nanogranite einst entstanden – und die nach wie vor die geologische Entwicklung der Erde bestimmen. „Man kann sagen, wir haben uraltes Glas gefunden. Aber natürlich ist es mehr als nur Glas. Die Einschlüsse sagen uns, was dort unten vorgeht, und das wiederum lässt Rückschlüsse darauf zu, wie sich die Erdkruste entwickelt, wie etwa Berge entstehen.“
Mittlerweile nimmt die Zahl der Fundstellen und Proben von Nanograniten zu. Ferrero selbst hat nach seiner Promotion 2010 daran gearbeitet, die Datenbank bekannter Nanogranite zu vergrößern. Auf einer Vulkaninsel vor Tunesien trug er neue Proben zusammen. „Da war ich endlich auch mal wieder im Feld“, sagt er lachend. „Auch wenn es schlicht nicht möglich ist, alle Proben selbst zu nehmen, ist es mir doch wichtig, nicht nur im Labor zu arbeiten.“
In Potsdam nun, wo er seit November 2012 als Fellow der Humboldt-Stiftung Gast am Lehrstuhl des Petrologen Prof. Dr. Patrick O’Brien ist, will Silvio Ferrero noch tiefer in die Erde. Ins Böhmische Massiv, um genau zu sein. „Eine der kompliziertesten Gegenden in Europa“, sagt er, „zumindest was mein Arbeitsgebiet angeht.“ Unlängst wurden im Böhmischen Massiv Gesteinsproben gefunden, deren Struktur und chemische Zusammensetzung darauf schließen lässt, dass sie aus einer Tiefe von rund 120 Kilometern an die Erdoberfläche gelangt sind. Ferrero hofft, in Ihnen ebenfalls Einschlüsse zu finden und diese genauer untersuchen und bestimmen zu können. Dank dieser Millionen Jahre alten Gesteine könnten sich für Ferreros Projekt während seines Aufenthalts in Potsdam neue Fragen auftun, die er heute noch nicht absehen kann. „Das ganze Forschungsfeld, in dem ich arbeite, ist noch so neu, so groß, dass es sich rasant entwickelt.“
Um so forschen zu können, braucht Ferrero eine Freiheit, die ihm das Stipendium der Humboldt-Stiftung einräumt. Für ihn ein Glücksfall, wie er betont. Denn jene Grundlagenforschung, die er betreibt, braucht den Mut, eine Frage zu stellen, ohne das Ergebnis schon zu kennen. „Die perfekte Situation für einen Geowissenschaftler wäre ein sprechender Stein“, sagt Ferrero. „Aber den gibt es nicht. Daher arbeiten wir ein bisschen wie ein Detektiv: Wir stellen eine Theorie auf und versuchen dann, den Beweis für sie in der Natur zu finden.“
Der Wissenschaftler
Dr. Silvio Ferrero studierte Geologie in Turin und promovierte anschließend in Padua. Seit November 2012 ist er als Fellow der Alexander von Humboldt-Stiftung am Institut für Erd- und Umweltwissenschaften der Universität Potsdam.
Kontakt
Universität Potsdam
Institut für Erd- und Umweltwissenschaften
Karl-Liebknecht-Str. 24–25, 14476 Potsdam
E-Mail: sferrerougeo.uni-potsdampde
Text: Matthias Zimmermann, Online gestellt: Agnes Bressa