Machtspiele, Intrigen, politische Bündnisse und Verrat – die Zeit der europäischen Aufklärung ist bewegt und wechselhaft. Die bisher wenig beachtete osteuropäische Perspektive dieser Zeit beleuchtet die Kulturwissenschaftlerin Agnieszka Pufelska in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekt. Mit ihrer Arbeit will sie auch einen neuen Umgang mit historischen Quellen und Forschungsmethoden anstoßen.
Sie war klug, schön und jung – und ein gern gesehener Gast am Hofe Friedrich des Großen. Marianna Skórzewska begeisterte sich zudem für die Ideen der Aufklärung und für die Wissenschaft – eine Kombination, die die Kulturwissenschaftlerin Agnieszka Pufelska fasziniert. In einem Aufsatz aus den 1930er Jahren stieß sie zufällig auf die Lebensgeschichte der polnischen Gräfin und begann ihr nachzuforschen. „Wie kommt es, dass eine Polin häufig zu Gast am Hofe Friedrich II. ist? Das hat mich schon interessiert“, so Pufelska, die selbst aus Polen stammt. Denn dass es durchaus freundschaftliche Beziehungen zwischen Preußen und Polen gab, ist im vorherrschenden Geschichtsbild kaum verankert. „Die Wahrnehmung wird häufig durch den Zweiten Weltkrieg verstellt, nach dem Motto: Die Polen und die Deutschen haben sich noch nie gemocht.“ Ich wollte mir anschauen, ob das wirklich immer schon so war und wie die polnisch-preußischen Beziehungen im 18. Jahrhundert funktionierten“, erklärt Pufelska. Zudem begab sich die Wissenschaftlerin auf die Suche nach den wenig erforschten Einflüssen Polens auf die europäische Aufklärung.
Dafür bereiste sie die Orte, an denen die Dokumente lagern, die Aufschluss über jene bewegte Phase der polnischen und europäischen Geschichte geben. In Berlin, Warschau, Krakau, Wien und Poznań verbrachte sie Wochen und Monate in Hof-, Staats- und Privatarchiven. Tausende Akten, Briefe und Notizen durchforstete sie, um nach Belegen dafür zu suchen, dass es zwischen Polen und Preußen einen Austausch gab, der bisher wenig beachtet wurde. Besonders die meist in französischer Sprache verfassten Korrespondenzen der Adelsfamilien interessierten sie, denn in ihnen wurde deutlich, welche Beziehungen und Ansichten die Schreibenden zum preußischen Hof hatten. „Es ist mühsam und staubig“, gibt sie schmunzelnd zu. Manchmal fand sie erst nach Wochen im Archiv ein einzelnes Schriftstück, dass für ihre Forschung relevant war. Doch es hat sich gelohnt. Die Wissenschaftlerin fand Dokumente, die ein neues Licht auf die preußisch-polnische Geschichte werfen und zeigen: Die Beziehungen beider Länder werden heute meist zu negativ und zu einseitig dargestellt.
Den Grund dafür sieht sie in der Methodik: „Die zwischenstaatlichen Beziehungen werden häufig anhand von politischen Beziehungen untersucht. Ich wollte wissen, ob es neben diesen politischen auch andere Beziehungen gab. Gab es einen Austausch auf kultureller Ebene? Denn das kulturelle und politische Agieren kann man nicht voneinander trennen.“ Kulturtransfer“ nennt sich dieses Konzept, in dem sich Pufelska auf eine Ebene begibt, die nicht die nationale, sondern vielmehr die persönliche Perspektive einnimmt. „Zu dieser Zeit hat man wenig in nationalen Kategorien gedacht. Man hat sich in bestimmten Kreisen bewegt und dabei die Interessen bestimmter Adelsfamilien oder diejenigen des Hofes im Blick gehabt“, verdeutlicht die Wissenschaftlerin.
Im ausgehenden 18. Jahrhundert durchlebte Polen eine tiefe Krise. „In dieser Zeit war Polen kein selbständig agierender Staat“, betont Pufelska. Vielmehr glich das Land einem Spielball, der zwischen den damaligen Großmächten Russland und Preußen hin und hergeworfen wurde. Nach dem Siebenjährigen Krieg, in dem die europäischen Großmächte von 1756 bis 1763 um die jeweilige Vorherrschaft gekämpft hatten, war Friedrich der Große darauf bedacht, die Beziehungen zu Russland zu stärken. Zum Garanten des preußisch-russischen Bündnisses wurde die Polenfrage. Friedrich verzichtete auf politische und territoriale Ansprüche – zumindest offiziell. Doch hinter den Kulissen pflegte er Beziehungen zu den Gegnern der russischen Politik, die den ungeliebten, von Russland eingesetzten König Stanisław August Poniatowski absetzen wollten. „Diejenigen, die gegen den König waren, versuchten Unterstützung bei Preußen zu finden. Diese Gruppe interessierte mich“, verdeutlicht Pufelska.
Marianna Skórzewska gehörte zu jenen Menschen, die den russischen Einfluss auf ihr Land kritisch sahen und sich nach Preußen wandten, um hier Unterstützung zu finden. Mit Anfang 20 kam die Gräfin nach Berlin, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Hier war es ihr auch möglich, ihre wissenschaftlichen und politischen Ambitionen zu verfolgen. Als wohlhabende Mäzenin knüpfte sie sofort Kontakte zur Berliner Akademie der Wissenschaften, zum königlichen Hof und bedeutenden Persönlichkeiten der Gesellschaft. Da sie Ländereien in der polnisch-preußischen Grenzregion besaß, war sie auch aus pragmatischen Gründen an einem guten Verhältnis zum Hof interessiert. „Es ist eben nicht immer einfach, private von kulturellen oder politischen Interessen zu trennen“, verdeutlicht Pufelska. Der offizielle Kontakt zwischen Skórzewska und Friedrich dem Großen endete, als die Gräfin in Berlin schwanger wurde. Ihren Sohn nannte sie Fryderyk. Mit 32 Jahren starb Marianna Skórzewska 1773 in Berlin an Tuberkulose.
Der polnische Bischof Ignacy Krasicki ist ein weiterer Akteur der polnischen Aufklärung, dessen Name immer wieder in den Dokumenten auftauchte, die Agnieszka Pufelska während ihrer Forschung sichtete. Wie Marianna Skórzewska pflegte auch der Bischof enge Beziehungen zum preußischen Königshof. „Es ist überliefert, dass Friedrich Krasicki sehr mochte, da er einen ähnlichen Humor hatte“, erklärt Pufelska. Philosophie, Literatur und Religion – dies seien die großen Gesprächsthemen des Königs und des Geistlichen gewesen. „Der Legende nach ermunterten die Tischgespräche mit Friedrich den Bischof dazu, das wohl wichtigste Werk der polnischen Aufklärung zu verfassen: Monachomachia – Krieg der Mönche“, so Pufelska. In der Satire kritisiert Krasicki das ausschweifende Leben der polnischen Mönche und den Klerus.
Marianna Skórzewska und Ignacy Krasicki stehen stellvertretend für den regen Austausch, der am preußischen Hof zwischen polnischen und preußischen Intellektuellen existierte. Und sie zeigen auch: Es genügt nicht, die Aufklärung als westeuropäische Geistesströmung zu erforschen. „Was mich ärgert ist, dass immer Frankreich und Preußen in den Vordergrund gestellt werden und alles andere als nicht wichtig eingestuft wird. Dadurch idealisiert man das gängige Bild“, so Pufelska. Bereits im 18. Jahrhundert sei Preußen darauf bedacht gewesen, ein möglichst negatives Bild seines östlichen Nachbarn zu propagieren, um das eigene politische Vorgehen zu rechtfertigen, unterstreicht sie. „Es ist traurig, dass das bis heute so ist.“
„Preußen hat Polen niemals als gleichberechtigten Partner behandelt, sondern immer als einen russischen Vasallenstaat“, erklärt Agnieszka Pufelska. Bis auf eine Ausnahme. 1791 – bereits nach dem Tode Friedrich des Großen – gab sich Polen, unterstützt von Preußen, eine Verfassung. Als „Verfassung vom 3. Mai“ ging dieses Ereignis in die Geschichte ein. Denn Polen war der erste Staat Europas, der sich eine moderne schriftliche Verfassung gab. „Bis heute ist der 3. Mai polnischer Nationalfeiertag“, betont Pufelska. Dass es die Maiverfassung wohl ohne das kurze, aber intensive Bündnis zwischen Polen und Preußen nicht gegeben hätte, ist dagegen heute kaum bekannt. Denn kurze Zeit später ging die Verbindung in die Brüche, Preußen verriet Polen an Russland, das 1792 in den Nachbarstaat einmarschierte und die Verfassung vom 3. Mai außer Kraft setzte. 1793 verlor Polen große Teile seines Territoriums an die Nachbarstaaten. 1795 existierte der polnische Staat schließlich nicht mehr. Russland, Österreich und Preußen hatten das Land gleichzeitig überfallen und es untereinander aufgeteilt.
Das Projekt
„Preußenbild der polnischen Aufklärung – zur Geschichte eines vergessenen Kulturtransfers (1764 – 1795)“
Beteiligt: Agnieszka Pufelska, Universität Potsdam
Laufzeit: 2009 -2014
Finanzierung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Die Wisenschaftlerin
Dr. Agnieszka Pufelska studierte Germanistik, Kulturwissenschaften und Geschichte in Płock, Frankfurt (Oder) und Tel Aviv. Seit 2008 erforscht sie an der Universität Potsdam die deutsch-polnischen Kulturbeziehungen, die Zeit der Aufklärung und die Jüdische Kulturgeschichte.
Kontakt
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Am Neuen Palais 10
14469 Potsdam
pufelskauuni-potsdampde
Text: Heike Kampe, Online gestellt: Agnes Bressa