Der Text, den die Studierenden hören, ist nur schwer im Gedächtnis zu behalten. Die Sätze ergeben einfach keinen Sinn. „Ich trinke eine Tasse Brot“, heißt es etwa. Sich dies zu merken, braucht Eselsbrücken. Es szenisch darzustellen Fantasie. Die Teilnehmenden des Workshops „Performatives Lehren und Lernen“ sind konzentriert bei der Sache, um beides zu bewältigen. Behutsam führt Dr. Manfred Schewe, einer der führenden Köpfe in der Dramapädagogik und seit vielen Jahren am University College Cork tätig, durch die Übung. Er ist zu Gast bei Prof. Dr. Christoph Schröder. Dessen Lehrstuhl „Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“ hat einen Dozenten-Austausch mit der germanistischen Abteilung der irischen Universität begonnen.
Die Workshopteilnehmenden bilden einen großen Kreis. Wie an einer Perlenschnur aufgereiht, setzt jedes Mitglied der Gruppe einen Satz nach dem anderen in eine Bewegung um. Sein Pendant gegenüber muss sich die Aktion merken und in einer zweiten Runde, bei der die Akteure die Geste wiederholen, den dazugehörigen Satz richtig wiedergeben. Die Übung verbindet kognitiven und künstlerischen Anspruch und vermittelt einen Eindruck davon, was Dramapädagogik im modernen Fremdsprachenunterricht leisten kann. Längst ist sie zur wichtigen Bezugsdisziplin für eine entsprechende Didaktik geworden. Ihre Verfechter verfolgen das Ziel, durch eine handlungsorientierte, kreative Form des Lehrens und Lernens, die Spielen und Darstellen einschließt, den Unterrichtsertrag zu erhöhen. Schülerinnen und Schüler lernen sozusagen mit Kopf, Herz, Hand und Fuß, wie es Schewe selbst einmal bezeichnete.
Etwa 20 Teilnehmende sind es heute, die zum Workshop an den Komplex Am Neuen Palais gekommen sind. Fast alle studieren an der Uni Potsdam. Doch es gibt auch einige Gäste aus Berliner Universitäten. Und sogar eine junge Studentin aus Poznán (Polen) ist extra angereist. „Ich beschäftige mich seit über einem Jahr mit Dramapädagogik“, sagt Anna Marko. „Der Ansatz besitzt in meinen Augen großes Potenzial.“ Dem stimmt Elisabeth Saal von der Potsdamer Uni zu. „Es ist ein guter Weg, um Lernende zum Sprechen herauszufordern“, meint sie. „Außerdem kann er auch im Sozialen viel in der Klasse bewirken.“
Dass Dramapädagogik zu besseren Lernleistungen führt und große persönlichkeitsbildende Effekte erzielt, bestätigen inzwischen mehrere Studien, darunter das DICE-Projekt von 2009/10. An dem von der EU geförderten Vorhaben „Drama Improves Lisbon Key Competences in Education“ waren damals zwölf Länder beteiligt. Im Ergebnis stand fest: Der Ansatz ist richtig und wichtig. Die Lernenden bauen demnach nicht nur Sprechbarrieren schneller ab und erhalten bessere Kenntnisse in der anderen Lingua, sie entwickeln auch mehr Empathie, Selbstbewusstsein, soziale Fähigkeiten, wenn dramatische Kunst als Inspirationsquelle für den Fremdspracherwerb dient. Zu einem positiven Schluss gelangte auch Prof. Dr. Michaela Sambanis – Englisch-Didaktikerin an der FU Berlin – 2013 in ihrem Buch „Fremdsprachenunterricht und Neurowissenschaften“. In Kontrollgruppen, die mit und ohne Dramapädagogik Englischunterricht erhielten, hatte sie zuvor verschiedenste Bereiche des Lernens getestet. Die Befunde sind eindeutig: Die Dramapädagogik-Schüler verankern Vokabeln tiefer, ihre Gedächtnisleistung steigt stärker als bei den anderen an.
Ergebnisse, die nicht nur Schewe ermuntern, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Mit seiner Promotionsarbeit „Fremdsprache inszenieren“ hatte er 1993 erstmals das Forschungsfeld Dramapädagogik im Fremd- und Zweitsprachenlernen und –lehren markiert und den Begriff für den Gebrauch in Deutschland geprägt. „Mein Verdienst ist es wohl, die Tradition der aus dem frühen 20. Jahrhundert stammenden Drama in Education-Bewegung in England aufgenommen und die dahintersteckende Idee auf den Fremdsprachenunterricht angewendet zu haben“, erklärt der Didaktiker.
Manfred Schewe lebt seit 1994 mit seiner Familie in Irland. Erasmus-Aufenthalte wie dieser gehören für ihn zum wissenschaftlichen Alltag. Den Dozenten-Austausch mit Potsdam will der Wissenschaftler, der in Cork die germanistische Abteilung leitet und inzwischen wieder dorthin zurückgekehrt ist, unbedingt fortsetzen. „Wir müssen schauen, ob wir das auf die Studierenden-Ebene ausdehnen können“, so der Gast. „Die Ausbildungsprogramme unterscheiden sich zwar, aber das kann sich durchaus positiv ergänzen.“
Text: Petra Görlich
Online gestellt: Matthias Zimmermann