Sie hockt einem im Nacken, drückt auf die Brust, schnürt die Kehle zu. Überfallartig jagt sie einem Schauer über den Rücken. Angst hat viele Gesichter. Flammt sie kurzzeitig auf, warnt und schützt sie vor Gefahren. Kehrt das ungute Gefühl aber immer wieder zurück und nistet sich als Dauergast in der Magengrube ein, kann es krank machen. Die Psychologische Psychotherapeutin Dr. Beate Muschalla beschäftigt sich mit solchen häufig im Arbeitsprozess auftretenden Ängsten und untersucht Formen der Therapie.
Wenn Patienten nach einem Herzinfarkt oder einem Bandscheibenvorfall in die Rehabilitation kommen, versuchen Ärzte und Therapeuten vor allem, die Patienten körperlich wieder fit zu machen. Manchmal spielen aber auch zusätzliche psychische Beschwerden eine Rolle: „Was ist los an Ihrem Arbeitsplatz? Was lastet auf Ihren Schultern? Was raubt Ihnen den Schlaf?“ Fragen von Ärzten, die besonders bei Patienten von Bedeutung sind, die nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückwollen. Und dies, obwohl es vielleicht aus medizinischer Sicht keinen Grund mehr für eine Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit gibt. „Ängste einzugestehen, fällt niemandem leicht. Wenn die Betroffenen aber in der Gruppe mit anderen darüber sprechen, löst sich ihr Unbehagen langsam auf“, beobachtet die Psychologin Beate Muschalla. „Sie werden sich ihres Problems bewusst, lernen konkrete Schritte zu planen und Eigeninitiative zu entwickeln.“
Im Forschungsverbund medizinische Rehabilitation evaluiert die Wissenschaftlerin der Universität Potsdam eine Gruppentherapie für Menschen mit arbeitsplatzbezogenen Ängsten. Nicht, wie zu vermuten wäre, in einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik, sondern in der neurologischen, der kardiologischen und der orthopädischen Abteilung der Brandenburg Klinik Bernau. Empirische Untersuchungen zeigen nämlich, dass - wie in der Gesamtbevölkerung auch - rund ein Drittel der „somatischen Patienten“ psychische Probleme hat. Deren Quelle ist nicht selten am Arbeitsplatz zu finden. So verbirgt sich hinter chronischen Rückenschmerzen mitunter eine erdrückende Überlastung. Und manche Herz-Rhythmus-Störung maskiert eine lange quälende Versagensangst.
Um solche möglichen Zusammenhänge aufzuspüren, befragt Beate Muschalla die Patienten bei der Aufnahme in die Rehabilitationsklinik in diagnostischen Interviews und mit der von ihr entwickelten Job-Angst-Skala. „Der Arbeitsplatz“, erklärt sie, „ist ein Lebensbereich, in dem sich ständig Strukturen ändern, Anforderungen steigen, neue Technik eingeführt wird. Das verlangt ein Höchstmaß an Flexibilität und Anpassung. Permanente Überwachung und Sanktionen durch Vorgesetzte oder Rivalitäten unter Kollegen können zusätzlich Ängste auslösen. In manchen Berufen kommen dann noch ganz reale gesundheitliche Bedrohungen und Unfallgefahren hinzu.“ Daraus können sich Angsterkrankungen entwickeln. Die Betroffenen, so die Psychologin, reagierten dann zum Beispiel mit körperlichen Erregungszuständen, Panikattacken, übermäßigen Sorgen oder auch sozialen Ängsten.
Registriert Beate Muschalla in ihren diagnostischen Gesprächen solche Symptome, empfiehlt sie eine in der Klinik angebotene verhaltenstherapeutische Gruppentherapie. In den Sitzungen, die von Hadice Ayhan, einer Fachärztin für Psychotherapie, durchgeführt werden, ist sie als Supervisorin mit dabei. Die Patienten lernen hier, über ihre Ängste zu sprechen, Bewältigungsstrategien zu entwickeln und ihre Probleme aktiv anzugehen. Am Ende der Therapie und sechs Monate nach dem Klinik-aufenthalt werden sie erneut befragt: Was hat sich in ihrem Leben verändert? Was davon haben sie selbst in die Wege geleitet?
Um die Wirksamkeit der Verhaltenstherapie überprüfen zu können, stellt Beate Muschalla ihr eine zweite Gruppentherapie vergleichend gegenüber, die auf Ablenkung, Freizeitbeschäftigung und Genuss ausgerichtet ist. Die Hypothese ist, dass jene Patienten, die nicht verdrängen, sondern sich intensiv mit ihren Ängsten auseinandersetzen und konstruktiv an der Lösung ihrer Probleme arbeiten, schneller wieder in den Berufsalltag zurückkehren. Und dies ist ja in der Regel auch das Ziel der Rehabilitation.
Das gesellschaftliche Interesse daran wächst, denn Job-Ängste spielen eine immer größere Rolle bei der Erklärung von Langzeit-Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung nehmen die psychischen Erkrankungen jedoch nicht zu. „Sie liegen seit mehreren Jahrzehnten stabil bei 30 Prozent der Bevölkerung“, erklärt die Psychologin. „Was sich aber geändert hat, sind die Arbeitsbedingungen, die es Menschen mit psychischen Problemen immer schwieriger machen, im Arbeitsalltag zu bestehen.“ Ständige Erreichbarkeit, anhaltende Aufgabenflut, Beschleunigung der Arbeitsabläufe durch immer schnellere Informationstechnologien sowie computerisierte Controlling-Mechanismen brächten sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. „Das dann häufig attestierte Burnout-Syndrom ist aber keine Diagnose“, klärt die Wissenschaftlerin auf. Hinter dem vermeintlichen Ausgebranntsein stecke meist eine schwelende Depression oder Angsterkrankung, die unter der extremen Belastung zutage trete. „Allerdings wird Burnout als Grund für eine Krankschreibung von manchen Patienten eher akzeptiert. Angsterkrankungen und Depressionen haftet leider noch immer ein Makel an“, so die Psychologin.
Eine Lösungsperspektive sieht Beate Muschalla darin, die Patienten während der Therapie in ihren Fähigkeiten zu stärken und anschließend ein Arbeitsumfeld zu finden oder zu organisieren, das zu ihrer Leistungsfähigkeit passt. Dazu gehört auch, mit dem Arbeitgeber oder dem Vorgesetzten offen über die Probleme zu sprechen. „Nicht jeder muss alles können“, sagt die Psychologin, „aber jeder kann entsprechend seiner Stärken eingesetzt werden. Dann lassen sich Schwächen einzelner auch im Team leichter tolerieren. So wie die Integration im Bildungsbereich der Vielfalt kindlicher Stärken, Schwächen und Einschränkungen versucht gerecht zu werden, brauchen wir auch Integration am Arbeitsplatz. Wir benötigen für 30 Prozent der Erwerbsbevölkerung – nämlich die Menschen mit psychischen Erkrankungen – leidensgerechte Arbeitsplätze.“
Seit ihrer Diplomarbeit beschäftigt sich Beate Muschalla mit arbeitsplatzbezogenen Ängsten, einem noch kaum bestellten Forschungsfeld. Weltweit gibt es hierzu nur wenige Studien. Unstrittig aber ist, dass sich unbehandelte Ängste zu Phobien auswachsen können, die es den Betroffenen unmöglich erscheinen lassen, jemals wieder an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Beate Muschalla hat darüber promoviert und weiß um die Notwendigkeit wirksamer Therapien. Dass sie dank des Verbundes mit den Rehabilitationskliniken ohne Probleme in der Praxis forschen kann, empfindet sie als große Bereicherung. Die Evaluierung der Gruppentherapie ist ein echtes Schnittstellenprojekt, das vom Ärztlichen Direktor der Brandenburg Klinik, dem Neurologen Prof. Dr. Michael Jöbges, und der Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Potsdam, Prof. Dr. Doris Fay, gleichermaßen getragen und geleitet wird. In der Gruppentherapiestudie konnte Beate Muschalla mit ihrem Team 1600 Patienten in Diagnostikgesprächen sehen und etwa 300 von ihnen behandeln. Die Gruppe „Stressbewältigung und Selbstbehauptung am Arbeitsplatz“ soll nach der Therapiestudie in der Klinikroutine als festes Angebot bestehen bleiben. Sie soll betroffenen Patienten helfen, sich in geschütztem Rahmen ganz allgemein mit Herausforderungen am Arbeitsplatz zu beschäftigen und auch ganz speziell mit der eigenen Arbeitssituation. Dabei können Fähigkeiten trainiert werden, die bei der Arbeits- und Alltagsbewältigung helfen können. Betroffene lernen individuelle Strategien, wie sie in Zukunft gelassener oder weniger ängstlich mit den Gegebenheiten an ihrem Arbeitsplatz zurechtkommen können. Vieles kann auch in einer solchen geschützten Gruppe fernab vom Arbeitsplatz „gefahrlos ausprobiert“ werden, etwa in Rollenspielen oder kleinen Arbeitserprobungs-Übungen. Die Teilnehmenden schätzen vor allem die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Betroffenen. Sie sehen, dass man mit dem Problem nicht alleine dasteht und dass man selbst etwas tun kann. Der Therapeut gibt keine allgemeingültigen Ratschläge oder Rezepte vor, sondern begleitet und moderiert den Problemlösungsprozess der Patienten.
Die Wissenschaftlerin
Dr. Beate Muschalla studierte bis 2006 Psychologie an der Freien Universität Berlin und erlangte 2010 die Approbation als Psychologische Psychotherapeutin mit dem Vertiefungsgebiet Verhaltenstherapie. In der arbeitsbezogenen Rehabilitationsforschung ist sie seit 10 Jahren tätig. Sie promovierte 2008 an der Universität Potsdam mit der Arbeit „Workplace-related Anxieties and Workplace Phobia“. Seit 2012 ist sie in der Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Potsdam Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Drittmittelprojekt „Gruppentherapie bei arbeitsplatzbezogenen Ängsten“, ein von der Deutschen Rentenversicherung gefördertes Projekt im Forschungsverbund medizinische Rehabilitation.
Kontakt
Universität Potsdam
Department Psychologie
Karl-Liebknecht-Str. 24–25, 14476 Potsdam OT Golm
E-Mail: beate.muschallauuni-potsdampde
Text: Antje Horn-Conrad, Online gestellt: Agnes Bressa