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Crossover

Potsdamer Politikwissenschaftler beschäftigen sich auch mit den Herausforderungen des Klimawandels

Landeshauptstadt Potsdam, Foto: Karla Fritze
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Landeshauptstadt Potsdam, Foto: Karla Fritze

Klimaveränderungen gehören zu jenen Themen, die derzeit weltweit am intensivsten diskutiert werden. Und auch wenn es nicht unbedingt auf den ersten Blick zu erkennen ist, sind es mittlerweile nicht zuletzt komplexe Politikprobleme. Deshalb arbeiten Natur- und Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam eng zusammen – im Projekt „PROGRESS“.

„Wenn auf aktuelle Probleme, wie den Klimawandel, zunehmend besser und nachhaltiger reagiert werden soll, dann hängt das nicht nur von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ab, sondern vor allem auch davon, dass dieses Wissen von den politisch-administrativen Systemen zur Kenntnis genommen und verarbeitet wird“, ist sich Werner Jann, Professor für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation, sicher. „Und genau das ist unser Spezialgebiet.“ Geht es doch um die Frage, wie Regierungen, Verwaltungen, aber auch Interaktionen zwischen verschiedenen Verwaltungsebenen und der Zivilgesellschaft sowie der Wissenschaft organisiert sein müssen, um Probleme rechtzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren. Für den Forscher ist es wichtig, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse möglichst schnell und richtig von der Verwaltung wahrgenommen werden können, und dass sie zu verwaltungsinternen Strukturen und Prozessen „passen“, aber auch, dass Verwaltungen besser in die Lage versetzt werden, ihre Bedürfnisse hinsichtlich naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu artikulieren.

Aus der Sicht von Werner Jann ist das gemeinsame Projekt „eine große Chance für die Universität Potsdam“. PROGRESS steht für Potsdamer Forschungs- und Technologieverbund zu Naturgefahren, Klimawandel und Nachhaltigkeit. Ein Teilvorhaben von PROGRESS ist das Forschungsprojekt „Governance-Strukturen – Institutionen und Politikformulierung“. Aus politik- und verwaltungswissenschaftlicher Perspektive analysieren die Forscher dabei, wie sich verschiedene Akteure des Ostseeraums mit den Herausforderungen des Klimawandels auseinandersetzen. Genau hier eröffnen sich neuartige Möglichkeiten der Zusammenarbeit zweier Potsdamer Profilbereiche: Politik, Verwaltung und Management sowie Erdwissenschaften und Integrierte Erdsystemanalyse. „Die Bereitschaft der Geowissenschaftler, mit uns zu kooperieren, schätze ich sehr“, sagt Werner Jann. Eine solche Zusammenarbeit sei alles andere als alltäglich. Zu den Partnereinrichtungen der Politikwissenschaftler gehören beispielsweise auch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, das GeoForschungsZentrum und das Alfred-Wegner-Institut.

Der Klimawandel ist ein auch politisch vielschichtiges Phänomen. Betroffen sind die internationale und nationale Politik ebenso wie die regionale und lokale. Die Politikwissenschaftler untersuchen im PROGRESS-Projekt, welche institutionellen Organisationsstrukturen und Koordinationsprozesse infolge zunehmender Klimarisiken – im Ostseeraum etwa ein ansteigender Meeresspiegel oder eine zunehmende Zahl von Sturmfluten – entwickelt werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Lösungen sie hervorbringen und welchen Einfluss sie auf die konkrete Formulierung von Politik haben. Auf der nationalen Ebene geht es beispielsweise um das Zusammenspiel zwischen politischen, administrativen, sozialen und wissenschaftlichen Akteuren. Die Wissenschaftler erforschen, inwieweit nationale Verwaltungen von Erfahrungen anderer Länder, anderer politischer Ebenen und aus ihrer eigenen Vergangenheit lernen. Hier steht der Vergleich westeuropäischer und ostmitteleuropäischer Staaten im Ostseeraum, Schweden, Finnland, Dänemark, Deutschland, Polen und Estland, im Fokus. Weiter analysieren sie, wie regionale Organisationen, so die Union of the Baltic Cities, der Ostseerat oder die Helsinki Kommission, auf den Klimawandel reagieren. Untersucht werden ebenso die Klimapolitik der Europäischen Kommission und ihre dafür zuständigen politischen Strukturen. „Ziel des Projekts ist es“, erklärt Werner Jann, „den Einfluss von spezifischen Governance-Strukturen auf die Handlungsfähigkeit von Akteuren der nationalen, regionalen und europäischen Ebene zu beschreiben und zu verstehen.“ Nur wenn klar ist, welche institutionellen Arrangements langfristige und koordinierte Problemlösungen ermöglichen und welche sie eher behindern, ist die Erarbeitung von „best practices“ sowie von Empfehlungen zu bestimmten Organisationsstrukturen und konkreten Politiken überhaupt denkbar.

„Dafür haben wir zahlreiche Interviews geführt sowie in den Ministerien der Ostseeanrainer und auf der Ebene der EU-Kommission computergestützte Befragungen organisiert“, so Jann. Probleme entstünden sowohl bei der Generierung und Vermittlung des Wissens als auch bei der Koordination. Außerdem gebe es jede Menge Konflikte, denn das Landwirtschaftsministerium betrachtet die Situation anders als das Energie- oder das Verkehrsministerium. Angesichts dieser unterschiedlichen Blickrichtungen stellt sich die Frage: Wie kommt man zu koordinierten und nachhaltigen politischen Strategien? Und genau an dieser Stelle setzen die Potsdamer Wissenschaftler an. „Wir beschäftigen uns mit Konfliktlösung, Koordination, Planung und generell Entscheidung unter Unsicherheit“, sagt Werner Jann. Ansprechpartner für die Forscher sind weltweit nicht nur Wissenschaftskollegen, sondern auch die Vertreter der politischen Praxis, ein Feld, auf dem die Potsdamer Politikwissenschaftler über umfangreiche Erfahrungen verfügen. Die Professoren des Profilbereichs um Werner Jann arbeiten als Berater für Regierungen, in der OECD und der UNO. Man müsse mit den Praktikern in einen produktiven Dialog kommen, sie davon überzeugen, ihre Sichtweise zu überdenken und so Veränderungen zu bewirken, so Jann. Ständiger Kontakt mit den Praktikern, aber auch das Auftreten auf Tagungen diene der Kontaktpflege. „Politikberatung ist ein kontinuierlicher Prozess der Aufklärung.“ Man könne nicht davon ausgehen, ein Gutachten abzugeben und damit sofort eine Veränderung der Welt zu erreichen.

Zumal nicht alle Strategien überall gleichermaßen zum Einsatz kommen können: „Erst wenn wir verstanden haben, wie eine vernünftige Koordination, langfristige Planung, wie nachhaltige politische Programme im Bereich des Ostseeraumes funktionieren, können wir unsere Erfahrungen beispielsweise in Indonesien oder Bangladesch anwenden.“ Es müsse zunächst festgestellt werden, was in einem entwickelten System funktioniert. Denn wenn beispielsweise im Ostseeraum ein Masterplan nicht aufgehe, dann spreche wenig dafür, dass er in Bangladesch sinnvoll ist.

Natur- und Politikwissenschaftler nähern sich ihren Forschungsgegenständen auf sehr unterschiedliche Weise. Die Naturwissenschaftler entwickeln möglichst sichere Modelle. Die Politikwissenschaftler gehen eher von Unsicherheit und Unwissen aus. „Wir denken, dass es in Bezug auf die Georisiken in absehbarer Zeit und vermutlich nie vollständiges Wissen geben wird“, meint Werner Jann. Dennoch müsse aus Sicht der Verwaltung darauf reagiert und die Forschung einbezogen werden – und genau deshalb sollten Natur- und Sozialwissenschaftler zusammenarbeiten.

Das Projekt

Potsdam Research Cluster for Georisk Analysis, Environmental Change and Sustainability
Beteiligt: Universität Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ), Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik (HPI), Alfred-Wegener-Institut (AWI), Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF), Leibnizinstitut für Regionalentwicklung und Strukturplanung e.V. (IRS)
Finanzierung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Laufzeit: 2009 bis 2013
www.earth-in-progress.de

Der Wissenschaftler

Prof. Dr. Werner Jann studierte Politikwissenschaft, Mathematik und Ökonomie in Berlin und Edinburgh, Schottland. Seit 1993 ist er Professor für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation in der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. außerdem ist er Sprecher des Profilbereiches Politik, Verwaltung und Management.

Kontakt

Universität Potsdam
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
August-Bebel-Straße 89, 14482 Potsdam
jannuni-potsdamde

Text: Dr. Barbara Eckardt, Online gestellt: Agnes Bressa