Wissenschaft erscheint selten simpel, versucht sie doch, das Unerforschte zu erforschen und das Unverstandene zu verstehen. Fragen und Probleme, denen sie sich widmet, sind meist kompliziert, knifflig und komplex. Oder sogar „vertrackt“. Ein im Oktober 2012 gestartetes Graduiertenkolleg an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam hat sich solche „vertrackten Probleme“ auf die Fahnen – und in den Namen – geschrieben.
Es gibt Probleme, die ebenso einfach sind wie die Lösungen, die sie beseitigen: „Um dafür zu sorgen, dass auf einen Parkplatz nur die kommen, die es dürfen, stellt man einfach eine Schranke davor“, sagt Prof. Dr. Klaus H. Goetz. Der Professor für Politik und Regieren in Deutschland und Europa ist Sprecher des neuen DFG-geförderten Potsdamer Graduiertenkollegs „Vertrackte Probleme, herausgeforderte Verwaltungen“. Die Nachwuchswissenschaftler haben im Oktober 2012 begonnen zu erforschen, wie moderne öffentliche Verwaltungen mit Politikaufgaben umgehen, die sich nicht ohne Weiteres lösen lassen. „Vertrackte Probleme – die Übersetzung des in den Verwaltungswissenschaften schon länger bekannten englischen Begriffs der ‚wicked problems‘ – haben im Vergleich zu anderen eine ganz besondere Qualität“, erklärt Goetz. Genau genommen sind es drei Merkmale, die sie außergewöhnlich machen: Erstens gelten vertrackte Probleme als komplex und betreffen oft mehrere Ebenen. Von kommunal bis international können Verwaltungen verschiedener Größe von demselben Problem betroffen sein. Ein internationales Klimaschutzprotokoll umzusetzen zum Beispiel. Zweitens sind vertrackte Probleme mit großer Unsicherheit verbunden, was das Verhältnis zwischen den eingesetzten Mitteln und den damit erreichten Zwecken angeht. Oft besteht erhebliche Unklarheit darüber, ob die Ziele des Handelns mit den geplanten Maßnahmen überhaupt zu erreichen sind. Während eine Parkplatzschranke unerwünschte Fahrzeuge fernhält, ist keineswegs sicher, ob die Reduktion des CO2-Ausstoßes tatsächlich den Klimawandel verzögern kann. Und drittens sind vertrackte Probleme mehrdeutig, sodass zwischen den Beteiligten häufig noch nicht einmal Einigkeit darüber erzielt wird, worin überhaupt das Problem besteht. Eine dürftige oder widersprüchliche Informationsbasis sorgt dafür, dass selbst Fachleute bei der Formulierung des Problems oft keinen Konsens erreichen. Besonders wenn naturwissenschaftliche Erkenntnisse in politisches und Verwaltungshandeln „übersetzt“ werden sollen, wie etwa bei Umweltfragen, lässt sich das Problem der Mehrdeutigkeit beobachten.
Doch mit den vertrackten Problemen selbst beschäftigen sich die Nachwuchsforscher des Kollegs in ihren Doktorarbeiten nicht in erster Linie. „Wir erforschen weniger die Problemlagen an sich, als vielmehr: Wie gehen Verwaltungen mit ihnen um?“, sagt Bertolt Wenzel, einer der ersten acht Doktoranden. In seinem Projekt will er herausfinden, mit welchen Mitteln politische Akteure in Europa versuchen, die Verschmutzung der europäischen Meere zu stoppen und zu verringern. Das Spannende daran ist, dass für dieses Ziel europaweite Institutionen wie die EU-Kommission und regionale Gremien zusammenarbeiten müssen. „Ich will analysieren, ob diese Form der Kooperation zu einem Nebeneinander sich störender Institutionen oder einer effektiveren Lösung der Probleme führt“, so Wenzel. Der Fokus der Doktoranden liegt demnach darauf zu untersuchen, wie öffentliche Verwaltungen aller Ebenen versuchen, den vielgestaltigen Herausforderungen, die sich ihnen stellen, zu begegnen. In ihren Einzelprojekten schauen die Doktoranden also auf Fragen wie: Woher bekommt eine Verwaltung die Informationen, auf deren Grundlage Entscheidungen getroffen werden? Wie geht sie mit ihnen um? Wie entscheidet und wie handelt sie dann? Ziel ist es, möglichst vielfältige Einblicke zu erhalten, wie Verwaltungen Wissen sammeln, koordinieren und für politische Entscheidungsträger aufbereiten, um es dann parat zu haben, wenn es – oft akut – gebraucht wird, wie Goetz erklärt: „Nur einige Fachleute interessierten sich für die Schweinegrippe und was man gegen sie tun kann, als sie noch nicht grassierte. Aber Verwaltungen müssen Wissensbestände vorhalten, damit diese zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung stehen, um auf einer möglichst breiten Grundlage politische Entscheidungen treffen zu können.“
Die theoretischen und methodischen Zugänge der einzelnen Forschungsvorhaben sind dabei unterschiedlich. Immerhin ist das Graduiertenkolleg interdisziplinär angelegt. Zwölf Professoren der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät sind beteiligt: Politik- und Verwaltungswissenschaftler, aber auch Soziologen und Betriebswirtschaftler. Sie eint ein gemeinsames Interesse an „vertrackten Problemen“ und den Strategien, mit denen Verwaltungen versuchen, mit ihnen umzugehen.
Dementsprechend vielseitig sind auch die Themen der ersten acht Einzelprojekte: Wie funktioniert die Steuerverwaltung bei internationalen Finanzflüssen im 21. Jahrhundert? Wie arbeitet die Verwaltung von Geheimdiensten nach dem Ende des Kalten Krieges? Gleich vier Doktoranden bearbeiten die Versuche von kommunalen bis hin zu internationalen Verwaltungen, Klimaschutz in administratives Handeln umzusetzen.
Vom Problem aus gedacht, ist der möglichst weit gehende Blick naheliegend. „In ihrer speziellen Ausformung sind viele vertrackte Probleme einzigartig“, sagt Goetz, „und damit auch die Lösungsansätze der Verwaltungen. Durch die thematische Vielfalt der Projekte wollen wir Experimentierprozesse aufscheinen lassen, zeigen, wie administrative Lösungen ausprobiert und auch verworfen werden.“ Eine Nachwuchswissenschaftlerin untersucht beispielsweise, welche Bedeutung die neue „Wunderwaffe“ „design thinking“ für öffentliche Verwaltungen haben kann. Übergeordnetes Ziel des Graduiertenkollegs ist indes kein „Manual der vertrackten Probleme“: „Ein Handbuch ‚Ten ways how to deal with wicked problems‘ wird aus dem Projekt nicht entstehen“, sagt Klaus H. Goetz. „Aber wir hoffen, Trends und Muster bei der Begegnung mit vertrackten Problemen aufzeigen zu können, Lösungsstrategien, die geeigneter sind als andere.“
Genau wie die Probleme, mit denen sie sich beschäftigen, sollen auch die Doktoranden Grenzen überschreiten und sich international vernetzen. Offizielle Sprache des Kollegs ist Englisch. Es wurden Mittel eingeplant, um regelmäßig internationale Gastwissenschaftler einladen zu können. Tagungen und ein jährlich stattfindender internationaler Doktorandenworkshop mit den Kooperationspartnern im norwegischen Bergen und in Stockholm werden dafür sorgen, dass sich die Forschungsarbeiten der Nachwuchswissenschaftler, aber auch die einschlägigen Projekte der beteiligten Professoren gegenseitig befruchten.
Die Vision der Wegbereiter des Graduiertenkollegs geht indes noch darüber hinaus: Laut Goetz kann das DFG-geförderte Projekt die Grundlage bilden für eine spätere strukturierte Doktorandenausbildung an der gesamten Fakultät. Von den Angeboten, die für Nachwuchswissenschaftler im Rahmen des Kollegs entwickelt werden – vom maßgeschneiderten Qualifizierungsprogramm über das uniweit als Vorbild geltende Gleichstellungsprogramm bis hin zu den internationalen Kooperationen –, sollen möglichst viele der Doktoranden an der Fakultät profitieren. „So bringt ein profilbildendes Forschungsprogramm zugleich eine nachhaltige Nachwuchsförderung auf den Weg“, betont Klaus H. Goetz. Kein Problem, eine Lösung.
Vertrackte Probleme
„Vertrackte Probleme“ zeichnen sich durch ein hohes Maß an Komplexität, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit aus. Deshalb sind sie eine grundsätzliche Herausforderung für die Organisation öffentlicher Verwaltungen – auf lokaler nationaler und internationaler Ebene. Als „wicked problems“ ist der Begriff in den englischsprachigen Sozialwissenschaften bereits seit den 1960er Jahren gebräuchlich. Für das Graduiertenkolleg „Vertrackte Probleme, herausgeforderte Verwaltungen: Wissen, Koordination, Strategie“ wurde er ins Deutsche übertragen.
Das Projekt
Graduiertenkolleg „Von vertrackten Problemen und herausgeforderten Verwaltungen: Wissen, Koordination, Strategie“
Sprecher: Prof. Dr. Klaus H. Goetz (Politik und regieren in Deutschland und Europa)
Finanzierung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Laufzeit: Oktober 2012 bis März 2017
www.wipcad-potsdam.de
Text: Matthias Zimmermann/Online gestellt: Silvana Seppä