Der Abschnitt des Mittelmeers zwischen Nordafrika und Italien ist eine der am häufigsten genutzten Routen von Migrant*innen, Flüchtenden und Asylbewerber*innen, die Europa auf dem Seeweg erreichen wollen. Die Forschenden um Alejandra Rodríguez Sánchez haben die Daten zu versuchten Überfahrten über das zentrale Mittelmeer zwischen 2011 und 2020 ausgewertet – und analysiert, wie und vor allem wodurch sie sich im Laufe der Zeit veränderten. Um die beobachteten Schwankungen in der Zahl der Grenzübertritte zu erklären, speisten sie eine Reihe von Faktoren in ein dafür entwickeltes Computermodell ein: Zu den bewerteten Faktoren gehörten die Anzahl der staatlichen und privat geführten Such- und Rettungsaktionen, Wechselkurse, internationale Rohstoffpreise, Arbeitslosenquoten, Konflikte, Gewalt, der Flugverkehr zwischen afrikanischen, nahöstlichen und europäischen Ländern sowie die Wetterbedingungen.
„Unsere Modellierung hat gezeigt, dass die Veränderungen bei der Zahl der Grenzübertritte auf dem Seeweg offenbar nicht durch die sogenannten Search-and-rescue-Aktionen beeinflusst wurden, was darauf hindeutet, dass diese keinen Anreiz für weitere Übertrittsversuche bieten“, sagt die Hauptautorin der Studie Alejandra Rodríguez Sánchez von der Universität Potsdam. „Als viel entscheidender erwiesen sich andere Faktoren wie Konflikte, wirtschaftliche oder ökologische Bedingungen.“
Indes schien das ab 2017 verstärkte Engagement der libyschen Küstenwache, Boote abzufangen und zurückzubringen, zu einem Rückgang der Überquerungsversuche geführt zu haben. Dies fiel jedoch, wie die Forschenden beobachteten, mit Berichten über eine Verschlechterung der Menschenrechtssituation von potenziellen Migranten in Libyen zusammen.
„Es sind weitere Forschungsarbeiten nötig, um zu untersuchen, wie sich Such- und Rettungsaktionen auf die Entscheidungsprozesse einzelner Migranten und der Schmuggler, die die Überquerungsversuche koordinieren, auswirken“, so die Forscherin.
Die Studie, an der neben Alejandra Rodríguez Sánchez auch Forschende des Centre for International Security der Hertie School in Berlin, des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) e.V. sowie des Institute for Quantitative Social Science der Harvard University beteiligt sind, entstand als Teil eines größeren Forschungsprojekts zum Thema Suche und Rettung im Mittelmeerraum am DeZIM.
Zur Studie:
Alejandra Rodríguez Sánchez, Julian Wucherpfennig, Ramona Rischke, Stefano Maria Iacus: „Search‑and‑rescue in the Central Mediterranean Route does not induce migration: Predictive modeling to answer causal queries in migration research“, Nature Scientific Reports (2023) 13:110114, DOI: 10.1038/s41598-023-38119-4
Zum DeZIM-Projekt „Seenotrettung im Mittelmeer“:
https://www.dezim-institut.de/projekte/projekt-detail/seenotrettung-im-mittelmeer-3-12/
Kontakt:
Dr. Alejandra Rodríguez Sánchez, Postdoc an der Professur für angewandte Sozialforschung und Public Policy
E-Mail: Alejandra.rodriguez.sanchezuuni-potsdampde
Medieninformation 03-08-2023 / Nr. 084