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Kleine Reise, große Wirkung – Die Potsdamer Logopädin Kristien Meuris forschte dank YERUN Mobilities in Odense

Zwei Frauen vor einer Tür
Eine Frau steht vonr einem Uni-Gebäude in Odense
Plakate von der Forschung zu Kommunikation
Foto : privat
Kristien Meuris mit ihrer Gastegeberin in Odense Maja Sigurd Pilesjö
Foto : privat
Kristien Meuris vor dem Gebäude der University of Southern Denmark in Odense
Foto : privat
Plakate der Forschungsgruppe, die Kristien Meuris an der University of Southern Denmark in Odense besucht hat

Kristien Meuris will dafür sorgen, dass Menschen miteinander ins Gespräch kommen. Auch jene, die nicht „einfach drauflos plaudern“ können und dafür Unterstützung brauchen. Genau die möchte die Logopädin entwickeln, denn sie forscht zur sogenannten unterstützten Kommunikation. Doch bevor sie helfen kann, muss sie verstehen. Um eine besondere Forschungsmethode zu erlernen und zu erproben, ist sie im März 2023 nach Dänemark gereist. Möglich gemacht hat dies ein Mobilitätsstipendium des YERUN-Netzwerks, in dem die Universität Potsdam seit 2022 aktiv ist. Matthias Zimmermann sprach mit ihr über den Wert von Videoanalysen, verschlungene Wege in die Forschung und darüber, was aus einer viertägigen Reise erwachsen kann – in der Ferne und auch ganz nah.

Wo waren sie zur YERUN-Mobility?

Ich war Mitte März 2023 für vier Tage an der University of Southern Denmark in Odense und in Kopenhagen.

Warum wollten Sie dorthin?

Es ging um eine spezifische Methode, um Videodaten zu analysieren: die Conversation Analysis. Die Uni in Odense hat dafür eine jahrzehntelange Tradition und mittlerweile eine außerordentliche Expertise entwickelt. Eine Besonderheit sind die sogenannten Data Analysis Sessions. Bei diesen treffen sich jede Woche Menschen mit verschiedensten Forschungshintergründen und schauen sich gemeinsam Videodaten an und analysieren sie. Das passt perfekt zu meiner aktuellen Forschung – und lässt sich sehr schlecht online machen. Das Verfahren lebt vom intensiven direkten Austausch und es geht um viele Details. Also habe ich meine Daten mitgebracht und wir haben sie uns gemeinsam angeschaut …

Woran arbeiten Sie?

Ich forsche zu unterstützter Kommunikation. Ich arbeite mit Menschen, die nicht oder nicht so einfach wie die meisten anderen sprechen können. Manche haben körperliche Einschränkungen, andere geistige Beeinträchtigungen. Für sie suchen wir nach Alternativen, Hilfsmitteln, um sie bei der Kommunikation zu unterstützen. Es geht um körpereigene „Instrumente“ wie Gebärden oder Mimik, aber auch externe Hilfen, etwa technologische Geräte für Sprachausgabe, wie Stephen Hawking sie hatte. Ein Schwerpunkt, der mich seit meiner Promotionszeit beschäftigt, sind Gebärden, die in der unterstützten Kommunikation häufig eine wichtige Begleitung für die Sprache darstellen. Ein weiterer interessanter Aspekt ist das sogenannte Turn Taking, also der Übergang zwischen den Äußerungen von Sprechenden: Was sorgt dafür, dass die Turns wechseln? Das hat sehr viel mit den Pausen zu tun. In Gesprächen zwischen zwei Menschen haben Pausen von über 0,1 Sekunden schon einen Einfluss darauf, wie die andere Person reagiert, und ab ungefähr 0,5 Sekunden Pause kann ein natürlicher Sprecherwechsel stattfinden. Aber Menschen, die unterstützt kommunizieren, brauchen sehr viel länger, um die Nachricht zu produzieren. Als Gesprächspartner muss man lernen, sich darauf einzustellen und manchmal sekundenlang zu warten. Sich anzuschauen, was passiert, wenn wir warten, ist enorm spannend – und aufschlussreich. Ein solches Gespräch läuft langsamer, stockender. In einem ersten Schritt werten wir die Videoaufnahmen von Gesprächen mit unterschiedlichen Sprechern aus. Irgendwann wollen wir die Videos aber auch dafür nutzen, um Menschen zu coachen, den Kommunikationspartnern zu helfen, „bessere Partner“ zu werden. Also Gespräche aufnehmen, dann gemeinsam anschauen und coachen.

Wie sind Sie zu diesem besonderen Thema gekommen?

Durch viele Zufälle – und weil ich vielseitig interessiert bin oder, so kann man es auch sagen, mich schwer damit tue, mich für eine Sache zu entscheiden. Ich bin Belgierin, meine Alma Mater ist die Uni Leuven, an der ich Logopädie und Audiologie studiert habe. Das ist in Belgien ein duales, sehr interdisziplinäres Studium. So musste ich mich nicht zwischen Sprache und Naturwissenschaften entscheiden. Nach dem Bachelor habe ich einige Zeit als Therapeutin gearbeitet. Da mir aber immer wieder Hintergründe fehlten, ging ich zurück an die Uni, machte meinen Master und Doktor. Nach der Verteidigung meiner Doktorarbeit 2014 wollte ich dann wieder in Praxis und habe als Therapeutin, Lehrerin und Beraterin gearbeitet. Die letzten Jahre dann in Berlin. Aber auch da hat mir irgendwann wieder etwas gefehlt und so bin ich vor einem Jahr wieder zurück in die Wissenschaft gegangen – und zwar nach Potsdam an die Professur für Inklusionspädagogik bei kognitiven und emotionalen Entwicklungsbeeinträchtigungen von Oliver Wendt. Inzwischen passt mein abwechslungsreicher Weg perfekt, denn ich treffe in meinen Lehrveranstaltungen auf viele künftige Lehrerinnen und Lehrer, denen ich immer sagen kann: Ich weiß, was euch erwartet, und denen ich meine Praxiserfahrung vermitteln kann.

Wie kamen Sie auf das YERUN-Mobilities-Programm und auf Odense als Ziel?

Die Forscherin, die in Leuven mit meinen Daten weitergearbeitet hat, arbeitet mit der Methode, worin die Uni in Odense sich spezialisiert hat. Sie hat mir davon erzählt. Als ich dann die Ausschreibung für die YERUN Mobilities sah und bemerkte, dass die Uni Odense auch im Netzwerk ist, musste ich das probieren. Ich nahm Kontakt zu Maja Sigurd Pilesjö auf, eine Logopädin die mit der Methode arbeitet. Nachdem wir uns online getroffen und ausgetauscht haben, habe ich den Antrag geschrieben, sie den notwendigen Letter of Acceptance. Ein paar Monate später erhielt ich die Bewilligung.

Was haben Sie dort gemacht?

Vorab hatte ich viel Literatur besorgt und gelesen. Am ersten Tage haben wir den ganzen Tag über Forschungsprojekte gesprochen, meins, ihres, erste Erkenntnisse. Wir wollen gemeinsam publizieren und ein gemeinsames Projekt auf den Weg bringen. Am zweiten Tag habe ich meine Videodaten zur Data Analysis Session mitgebracht. Eine tolle Sache: Zunächst schauen alle gemeinsam das Video, bis zu 20-mal, gänzlich unkommentiert, alle machen sich nur Notizen. Anschließend sagen alle reihum, was ihnen aufgefallen ist, ehe es in die Diskussion geht. Eine sehr fruchtbare Methode, bei der die Expertisen aus vielen Disziplinen einfließen. Am Mittwoch habe ich dann eine Vorlesung für die Studierenden gehalten. Für Donnerstag war eine Weiterbildung für die Conversation Analysis eingeplant und am Freitag habe ich mich noch in Kopenhagen mit Kolleginnen getroffen, die auch zur unterstützten Kommunikation forschen. Ein volles Programm!

Wie geht es weiter?

Ich habe sehr wichtiges Feedback erhalten und spannende Fragen mitgenommen, aber auch viele Kontakte geknüpft. Etliche davon treffe ich noch in diesem Jahr wieder, auf der wichtigsten Konferenz für unterstützte Kommunikation, die 2023 in Mexiko stattfindet. Außerdem sammle ich jetzt neue Videodaten, die ich gemeinsam mit Maja Sigurd Pilesjö analysieren werde. Außerdem habe ich in einer ruhigen Minute in Dänemark einmal gegoogelt, ob es nicht auch in Deutschland Forschungsgruppen gibt, die „Conversation Analysis“ machen wie ich. Wie sich herausstellte, gibt es sie – und zwar hier in Potsdam! Mit den Kolleginnen und Kollegen will ich mich nun vernetzen und schauen, was wir gemeinsam machen können.

Würden Sie die YERUN Mobilities wieder nutzen?

Unbedingt!

 

Weitere Informationen:
https://www.uni-potsdam.de/de/inklusion/kognitive-entwicklung/dr-kristien-meuris