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Wie im Orchester – Neue Gene tragen zur Evolution neuer Organe bei

Wie entstehen im Laufe der Evolution neue Organe? Was verändert sich dabei im Erbgut? Braucht es neues Genmaterial für neue Organe? Mit diesen Fragen setzten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Potsdam und des Museums für Naturkunde Berlin auseinander. Sie untersuchten die Radula, das Mundwerkzeug von Schnecken, Tintenfischen und ihren Verwandten. Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass eine Kombination aus vorhandenen Genen, die für ähnliche Aufgaben aktiviert werden konnten, und das Auftreten völlig neuer Gene die Evolution der Raspelzunge und damit die Evolution eines neuen Organs ermöglichte. Die Ergebnisse der Studie sind jetzt in der Fachzeitschrift Molecular Biology and Evolution veröffentlicht.

Wäre ein Organ ein Musikstück, so würde es durch ein Orchester von Genen aufgeführt; jedes Gen, ähnlich einem Instrument, mit einem bestimmten Aktivitätsmuster. Wie aber entstehen im Laufe der Evolution völlig neue Organe? Ein Orchester ist in der Lage, eine große Bandbreite von Musikstücken aufzuführen, ohne ein einziges Instrument auszutauschen. Trotzdem wurden viele Kompositionen erst durch die Erfindung bestimmter Instrumente ermöglicht. Welche Rolle spielen also veränderte Genaktivität einerseits und die Evolution neuer Gene andererseits für die Innovation neuer Organe im Laufe der Evolution? Auf das Orchester übertragen, ist zu fragen, welchen Anteil Änderungen im Dirigieren des gleichen Orchesters einerseits und das Auftreten vorher unbekannter neuer Instrumente andererseits für die Entwicklung neuer Musikstücke haben.In der aktuellen Studie haben die Wissenschaftler nun Gene und ihre Aktivität in einem Organ untersucht, das ausschließlich innerhalb der sogenannten Weichtiere, also Schnecken, Tintenfischen und ihren Verwandten, vorkommt. Die Raspelzunge ist das Organ, mit dem sich Schnecken bei Gartenbesitzern unbeliebt machen. Sie besteht aus vielen Reihen harter, scharfer Zähne, die ähnlich den Zähnen von Haien ein Leben lang nachgebildet werden. Die Forscher beschäftigen sich mit der Genaktivität in dem Gewebe, das die Raspelzunge bildet, um zu ergründen, welche Gene zur Bildung der Raspelzunge beitragen.
Grundsätzlich verfügen nahezu alle Zellen eines Individuums über die vollständige Erbinformation. Die Unterschiede zwischen Geweben entstehen nur dadurch, dass unterschiedliche Gene aktiv sind. Damit Erbinformation aktiv umgesetzt werden kann, muss sie abgeschrieben und als Information versendet werden. Diese Information in Form sogenannter messenger RNA lässt sich mithilfe einer komplizierten Methode im Labor sequenzieren, wodurch sich sowohl die in aktiven Genen kodierte Information als auch ihre Aktivität ermitteln lassen. Mithilfe solcher Analysen haben die Wissenschaftler nun Hinweise dafür gefunden, dass die bei der Bildung der Raspelzunge aktiven Gene erstaunlich häufig nur innerhalb der Weichtiere vorkommen. Das ist für weniger spezifische Organe, wie Muskeln, nicht der Fall. Dies deutet darauf hin, dass für die Raspelzunge wichtige Gene erst zusammen mit den Weichtieren und der ihnen eigenen Raspelzunge entstanden. Außerdem sind einige Gene auch in anderen Geweben aktiv, die ähnliche Aufgaben haben und Schalen oder Stacheln bilden. Das deutet darauf hin, dass diese Gene zum Bau verschiedener Hartstrukturen, wie Zähne, Stacheln und Schalen, „rekrutiert“ wurden. Wäre ein Organ also ein Musikstück, so würden wahrscheinlich sowohl Veränderungen im Dirigieren, als auch die Erfindung neuer Instrumente zur Entstehung neuer Organe beitragen.

Kontakt: Prof. Dr. Michael Hofreiter, Leon Hilgers
Telefon: 0331 977-6321, 0228 9122426
E-Mail: mhofreituni-potsdamde, leon.hilgersmfnde

Fotos:
1. Eine Indonesische Süßwasserschnecke Tylomelania sarasinorum (Foto: Chris Lukhaup)
2. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der Radula von einer Indonesischen Süßwasserschnecke Tylomelania sarasinorum mit 116-facher Vergrößerung (Foto: Leon Hilgers)

https://academic.oup.com/mbe/advance-article/doi/10.1093/molbev/msy052/4956465

Medieninformation 18-05-2018 / Nr. 080
Leon Hilgers, Dr. Barbara Eckardt
Universität Potsdam
Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Am Neuen Palais 10
14469 Potsdam

Tel.: +49 331 977-2964
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