Fabian Schupperts wissenschaftliches Steckenpferd ist die Theorie, auf der Politik ruht – oder ruhen sollte. Allzu häufig sei dies nicht der Fall, erklärt er. Nicht selten würden in zentralen politischen Debatten normative Werte vorsätzlich außen vor gelassen – oder aber beinahe inhaltsleer ins Feld geführt. „Wenn etwa Wolfgang Schäuble im Interview sagt, soziale Gerechtigkeit finde er weniger wichtig als dass jeder einen Job hat, bringt mich das auf die Palme“, sagt Schuppert. „Wie kann einen Job zu haben pauschal über anderen Werten wie Gerechtigkeit stehen?“ Kaum besser sei der inflationäre und oft unbegründete Gebrauch von Werturteilen. „Jener Kaffee sei nachhaltiger, diese Handlung gerechter. Wie schwierig es tatsächlich ist, normative Wertungen, die miteinander im Konflikt stehen, abzuwägen oder gar zu vereinbaren, ist dabei zumeist nicht mitgedacht – und schon gar nicht ausbuchstabiert.“ Letztlich sind es Probleme wie diese, die den Wissenschaftler reizen. Er will Brücken bauen zwischen Theorie und Praxis. „Grundlagenforschung ist mir wichtig, aber sie anzuwenden auch“, sagt er. „Mich haben immer schon konkrete politische, wirtschaftliche und soziale Fragen interessiert. Und ich will dazu beitragen, Lösungen für sie zu finden. Formal-logische Stimmigkeit ist mir nicht so wichtig wie die Frage, auf welchem Weg sich Wertevorstellungen so abwägen oder verbinden lassen, dass am Ende eine Entscheidung möglich wird.“
Das Risiko hat System
Dass dies ebenso schwierig wie wichtig ist, habe sich zuletzt während der globalen Finanzkrise 2008 gezeigt. Denn diese habe systemische Risiken der Finanzwelt offenbart. „Die Analyse der Krise hat gezeigt: Es lässt sich nicht das Handeln oder gar Versagen Einzelner als Ursache ausmachen“, erklärt der Politologe. „Vielmehr haben viele Akteure unkoordiniert – meist im Rahmen des Legalen – gehandelt, dabei aber gemeinsam ein Risiko kreiert, aufgrund dessen das ganze System zu kollabieren drohte.“ Besonders problematisch sei dies, weil das Risiko zwar im Finanzsektor steckte, aber natürlich gravierende Auswirkungen auf nahezu die gesamte Wirtschafts- und Arbeitswelt hatte. Die negativen Folgen des Crashs bekamen also nicht nur Banker, Hedgefondsmanager und Aktienhändler zu spüren, sondern auch zahllose am System Unbeteiligte. Als Wissenschaftler geht Fabian Schuppert daher zwei wichtigen Fragen rund um systemische Risiken nach: „Moralphilosophisch gilt es zu klären: Hätten einzelne Akteure der Finanzwelt mehr wissen können als andere? Und müssen wir die Handlungsmöglichkeiten in diesem System beschränken bzw. was sollten Regierungen tun um ihre Bürger vor zukünftigen Finanzkrisen zu schützen?“, so der Forscher. Auf der politisch-theoretischen Seite sei es wichtig zu schauen: Wie können sich Institutionen auf diese Risiken einstellen, sie reduzieren? Sollte der Staat, der in großen Krisen doch immer wieder als letzte rettende Instanz angerufen wird, wieder stärker als Rahmensetzer auftreten? „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, schon gar nicht im Finanzsystem. Aber das heißt nicht, dass man nicht darüber diskutieren kann, wie wir als Gesellschaft mit diesen Risiken und ihren Folgen umgehen.“
Als Professor für Politische Theorie verbindet Fabian Schuppert Politikwissenschaften, politische Philosophie und Ethik miteinander – immer mit Blick auf die konkreten politischen Zusammenhänge und Prozesse: „Es gibt Forscher, die machen gern reine politische Theorie als Theorie der Politik und schauen auf Prozesse, Strukturen und ihre Funktionsweisen“, sagt er. „Ich komme aus der anderen Richtung: Mich interessieren die großen normativen Konzepte und die Frage, wie man sie auf die Wirklichkeit anwenden kann. Denn ich denke, Politik und Ethik gehen letztlich Hand in Hand.“
Von Che Guevara zur Klimagerechtigkeit
Zwischen den Disziplinen war Fabian Schuppert schon immer zu Hause. Er studierte Politik, Philosophie und Geschichte in Göttingen. Anfangs wollte er journalistisch arbeiten. Doch ein Praktikum bei n24 belehrte ihn eines Besseren. „Mir wurde schnell klar, dort geht es eigentlich nur darum: Wer hat die beste Story, den schnellsten O-Ton?“, sagt er. „Aber mich haben die Töne nicht interessiert, sondern die Argumente. Und dann habe ich bald gemerkt, dass ich gern wissenschaftlich arbeiten will.“ Schon im zweiten Semester begann er als studentische Hilfskraft zu arbeiten, engagierte sich später relativ früh als Herausgeber einer Zeitschrift für Postgraduierte. Doch ihn ereilte nicht nur der Ruf der Forschung schon im Studium, es zog ihn auch bald in die Ferne. Ein Erasmusaufenthalt in Polen, bei dem Fabian Schuppert auch seine heutige Frau kennenlernte, brachte ihn auf die Spur. Die Zwischenprüfung in der Tasche, beschloss er, nach Glasgow zu wechseln. Er studierte European Culture, beschäftigte sich intensiv mit der französischen Philosophie des 20. Jahrhunderts und polnischer Literatur, schrieb seine Masterarbeit über den Ausverkauf des revolutionären Gedankens bei Che Guevara und Mao. Anschließend folgte er für kurze Zeit seiner Frau in ihre finnische Heimat, ehe er ein Promotionsstipendium in Belfast erhielt. Mit seiner Dissertation über die republikanische Theorie der Gerechtigkeit schuf er sich dort den Kern seiner akademischen Heimat – zwischen den Stühlen von Philosophie und Politikwissenschaften. „Von Hegel über John Rawls bis zu Axel Honneth reicht die Linie der Denker, an die ich angeschlossen habe. Ich wollte untersuchen, was es heißt, wenn wir eine Gesellschaft haben wollen, in der wir alle als Gleiche interagieren. Müssen wir alle das Gleiche besitzen? Wohl kaum. Wie muss so eine Gesellschaft strukturiert sein – formell, aber auch informell? Wenn beispielsweise Kulturen so beschaffen sind, dass sie Alltagssexismus zulassen, kann man nicht davon ausgehen, dass sich Männer und Frauen tatsächlich gleich begegnen.“
Frisch promoviert zog es Fabian Schuppert weiter ans Ethikzentrum in Zürich – sein Thema nahm er mit. Denn die Generationen- und die Klimagerechtigkeit hatten ihn schon als Doktorand beschäftigt, aber sie waren in der Dissertation schlicht nicht mehr zum Zug gekommen. Auch Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und alternativen politischen Ökonomien interessierten ihn zunehmend. „Schließlich macht es wenig Sinn, sich über soziale Gerechtigkeit zu unterhalten, ohne über Ökonomie zu sprechen.“ Doch sowohl ein Umbau des Finanzsystems als auch eine sozial gerechte und faire Klimapolitik ließen sich nicht von heute auf morgen realisieren. Gerade die Klimakrise hat sich im Laufe der Jahre immer stärker in den Vordergrund auch seiner Forschung gedrängt. „Wenn wir akzeptieren, dass der Klimawandel anthropogen ist, müssen wir radikale Einschnitte vornehmen. So weiterzumachen wie bisher, lässt sich moralphilosophisch nicht rechtfertigen.“ Aber auch die Anstrengungen, die unternommen werden, um das Schlimmste abzuwenden, könnten neue Probleme schaffen. „Wie kann man effektiv, fair und politisch richtig den Klimawandel bekämpfen? Wie lassen sich die Maßnahmen halbwegs demokratisch legitimieren – regional, national, aber auch global? Das ist keineswegs trivial“, so Schuppert. Beispielsweise werde in aktuellen Debatten vorgeschlagen, gegen den massiven Anstieg des CO2-Austoßes in großem Maßstab Bäume zu pflanzen. Aber wo? In Afrika! „Das ist doch eine koloniale Perspektive!“
Mit seiner Forschung will Schuppert dazu beitragen, die Klimapolitik auf ein gerechtes Fundament zu stellen. Denn nur dann könne sie dauerhaft erfolgreich sein. Gegenwärtig untersucht er beispielsweise, wie Initiativen zur besseren Landnutzung nicht nur dem Klima helfen können, sondern auch den Menschen, die es – bislang – bewohnen oder bewirtschaften. So werde derzeit heiß diskutiert, ob weltweit und im großen Stil Bioenergie erzeugt und CO2 in der Erde gelagert werden sollten. „Das hätte Auswirkungen auf die Nutzung von Landflächen in der Größe von Australien – und natürlich eine sehr große Zahl von Menschen“, erklärt Fabian Schuppert. „Nicht immer zu ihrem Vorteil.“ Gleichzeitig gebe es vieles, was sich auch im Kleinen und vor allem gemeinsam mit Farmern, indigenen Gruppen oder regionalen Initiativen machen lasse – bodennahe CO2-Speicherung, veränderte Fruchtfolgen, oder bessere Irrigation. „Eine Klimapolitik, die nicht nur von oben eingreift, sondern kooperativ agiert, andere Werte nicht vernachlässigt, ist gerecht – und dürfte erfolgreicher sein.“
Krisen zeigen, wo sich etwas ändern muss
Nach drei Jahren in der Schweiz setzte Fabian Schuppert seine akademische Europareise fort und ging 2013 wieder nach Belfast. Und möglicherweise würde er immer weiter ziehen – wäre da nicht Potsdam auf der Landkarte erschienen. Er habe gar nicht damit gerechnet, in absehbarer Zeit nach Deutschland zurückzukehren, so Schuppert. „Aber was hier in Potsdam gemacht wird – mit der besonderen Ausrichtung der Fachgruppe an der Uni, der engen Zusammenarbeit mit dem PIK und dem IASS –, das hat mich überzeugt. Das Einzige, was mir hier noch fehlt, ist das Meer. Mmh, ich hätte zu Anfang unseres Gesprächs wohl doch Meer sagen sollen …“
Sein breites Forschungsinteresse hat Fabian Schuppert mitgebracht und er hat nicht vor, es jetzt ruhiger angehen zu lassen. Aktuelle und kaum vergangene Krisen geben dafür auch gar keinen Anlass. „Krisen eröffnen uns die Möglichkeit zu sehen, wo unser System fehlgeht und wo sich etwas ändern muss.“ Damit das gelingt, sei ein Umdenken vieler notwendig. Das wiederum lasse sich nur langsam erreichen. „Manchmal wirkt es so, als sei es erfolgversprechender, eine Revolution anzuzetteln. Aber was soll daraus Gutes entstehen? Da sind mir – meine Antwort war wohl auch falsch – Reformen lieber.“ Man müsse zunächst auf informeller Ebene erreichen, dass Menschen etwas als erstrebenswert und machbar erachten. Und das gehe nur Schritt für Schritt, so Schuppert. „Da setzt meine Arbeit an: Man darf nicht aufhören, Fragen zu stellen, das, was als gegeben gilt, zu hinterfragen. Normativ etwas ändern zu wollen, geht nicht konfliktfrei vonstatten. Man muss sich auch mal kontrovers äußern.“
Der Forscher
Prof. Dr. Fabian Schuppert studierte Politik, Philosophie und Geschichte an der Universität Göttingen sowie European Culture in Glasgow. Nach Stationen in Helsinki, Belfast und Zürich ist er seit 2020 Professor für Politische Theorie an der Universität Potsdam.
E-Mail: Sabine.Eichleruuni-potsdampde (Sekretariat)
Zehn Fragen
Berge oder Meer?
Berge.
Demo oder Petition?
Demo.
Auto oder Fahrrad?
Fahrrad.
Sozialstaat oder liberale Marktwirtschaft?
Sozialstaat.
Wasser oder Wein?
Wein.
Philosophie oder Politikwissenschaften?
Puh, mein Herz sagt Philosophie.
E-Mail oder Telefon?
E-Mail.
Revolution oder Reform?
Revolution.
Paper oder Buch?
Buch.
Grundeinkommen für alle – ja oder nein?
Ja.
Obst oder Schokolade?
Schokolade.
Gleichheit oder Gerechtigkeit?
Die Frage ist falsch gestellt: Gerechtigkeit hat viel mit Gleichheit zu tun.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2020 „Gesundheit“.