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Mehr Macht für wenige Große – Der Jurist Tobias Lettl beobachtet Machtkonzentrationen auf den Märkten

Prof. Dr. Tobias Lettl. Foto: Karla Fritze.
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Prof. Dr. Tobias Lettl. Foto: Karla Fritze.

Obst und Gemüse, Brot oder Milchprodukte – dass wir Lebensmittel täglich benötigen, steht fest. Wo wir sie einkaufen auch, ließe sich etwas provokativ formulieren. Denn die Auswahl zwischen den Supermärkten ist in Deutschland eigentlich nicht groß. Waren es in den 1990er Jahren immerhin noch acht große Handelsketten mit insgesamt 70 Prozent Marktanteil, dominieren heute fünf Supermarktketten den Lebensmitteleinzelhandel: Edeka, Rewe, Aldi, die Schwarz-Gruppe, zu der Kaufland und Lidl gehören, sowie die Metro AG mit Real. Diese Unternehmen teilen sich 90 Prozent des Marktes. „Die wirtschaftliche Macht großer Unternehmen wächst immer weiter an“, sagt Tobias Lettl. Der Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, hat im Auftrag der unabhängigen Hilfsorganisation Oxfam ein Gutachten zur Konzentration der Marktmacht erstellt. Und das zeigt: Für das Bundeskartellamt wird es zunehmend schwierig, großen Unternehmen Grenzen zu setzen. Mit Folgen für die Freiheit des Wettbewerbs – und letztlich für uns alle.

2017 übernahm Edeka einen großen Teil der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann, die über Jahre rote Zahlen geschrieben hatte. Obwohl das Bundeskartellamt den Zusammenschluss verboten hatte. Schließlich war Edeka mit etwa 26 Prozent Marktanteil bereits führend im Lebensmitteleinzelhandel. „Doch der Paragraf 42 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gewährt dem Bundeswirtschaftsminister das Recht, einen Zusammenschluss auch dann zu erlauben, wenn er gegen das Kartellrecht verstößt“, erklärt Professor Lettl. Und zwar, wenn die Fusion einen gesamtwirtschaftlichen Vorteil bedeute. Von diesem Recht hat der damalige Minister Sigmar Gabriel Gebrauch gemacht. Das wesentliche Argument: Die 16.000 Arbeitsplätze bei Kaiser’s Tengelmann sollten nicht verloren gehen. „Eine umstrittene Entscheidung, die vom Oberlandesgericht Düsseldorf aus verschiedenen Gründen und insbesondere deshalb aufgehoben wurde, weil nicht berücksichtigt worden war, ob nicht der Zusammenschluss zum Arbeitsplatzabbau führen würde“, sagt Lettl. Letztlich kam der Zusammenschluss aber doch zustande. Bedingung dafür war, dass nicht allein Edeka die Kaiser’s-Märkte übernimmt, sondern sie sich mit einem zweiten Marktriesen teilt – mit Rewe.

Große Konzerne bestimmen die Preise

Solche Entscheidungen gefährden jedoch die Wettbewerbsfreiheit. Denn der große Marktanteil erlaubt es den Handelsketten, Druck auf Lieferanten auszuüben, um beispielsweise die Lieferpreise zu senken oder andere Sonderkonditionen zu erreichen. Die Lieferanten können schließlich meist nicht auf alternative Abnehmer ausweichen, die Einbußen wären zu groß. Der Druck auf die Preise führt dazu, dass viele Zulieferer und insbesondere kleine landwirtschaftliche Betriebe wirtschaftlich abgehängt werden und aus dem Markt ausscheiden müssen. Wegen des Preisdrucks der Konzerne sind die Lebensmittelpreise in Deutschland vergleichsweise niedrig. Doch günstige Nahrungsmittel bedeuten mitunter eine geringere Qualität, niedrigere Löhne und schlechtere Produktionsbedingungen, was etwa auch auf Kosten des Tierschutzes geht. „Diese ganze Kette bleibt bei einer Ministerialerlaubnis weitgehend außen vor“, sagt Lettl. Die Ministerialerlaubnis betrachtet er daher kritisch. „Das ganze Kartellrecht kann durch die Entscheidung eines einzelnen Ministers konterkariert werden. Der Paragraf 42 des GWB ist aus meiner Sicht demokratisch nicht ausreichend legitimiert.“ Vielmehr ist seiner Meinung nach allein der Gesetzgeber selbst befugt, einen Zusammenschluss zuzulassen, der an sich gegen das Kartellrecht verstößt.

In einer freien Marktwirtschaft würden Preise häufig hart ausgehandelt, sagt der Jurist, und das sei auch richtig. Dennoch müssten Missstände aufgedeckt werden. Wie etwa der kürzlich vom Bundesgerichtshof in der Sache „Hochzeitsrabatte“ entschiedene Fall eindrucksvoll belegt. Edeka hatte einen Sekthersteller gezwungen, sich an den Kosten für den Umbau der eigenen Filialen zu beteiligen. Das Bundeskartellamt schob in seiner Missbrauchsverfügung einen Riegel vor. Im Januar 2018 bestätigte der Bundesgerichtshof diese Entscheidung gegen Edeka und klärte dabei einige Grundsatzfragen. Die 9. Novelle des Wettbewerbsrechts schreibt nun in einer gegenüber der bisherigen Fassung des GWB verschärften Form Unternehmern vor, dass sie sich ohne sachliche Rechtfertigung keine Vorteile von anderen Unternehmen wie Handelspartnern gewähren lassen dürfen. Lettl selbst hatte sich zuvor in einigen Aufsätzen mit der Regelung beschäftigt und wurde im Urteil des Bundesgerichtshofs mehrmals zitiert – für einen Juristen ist das ein großes Lob. 

„Daten sind heutzutage Bargeld“

Auch im digitalen Bereich gibt es Unternehmen, die fast schon als Monopolisten bezeichnet werden können. Der Internetkonzern Google bietet zahlreiche Produkte wie das Betriebssystem Android, den Browser Chrome oder den Email-Dienst Gmail an. Damit ist der Konzern nicht nur Marktriese, sondern besitzt auch sehr große Datenmengen. Die EU-Kommission verhängte kürzlich eine Wettbewerbsstrafe über Google in Höhe von 2,4 Milliarden Euro. Denn der Konzern betreibt mit „Google Shopping“ ein eigenes Angebot, das bei der Internetsuche ganz oben gelistet wird. Die Angebote anderer Preisvergleichsseiten werden dadurch benachteiligt. „Das ist ein Tatbestand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung“, erklärt Lettl. „Obwohl Google wirtschaftlich so mächtig ist, dürfte die Höhe dieses Bußgelds durchaus spürbar sein.“

Wenig anders sieht es bei Facebook aus. 2,2 Milliarden Menschen sind weltweit in dem sozialen Netzwerk aktiv. Zu Facebook gehört seit 2014 ebenso der Messenger Whatsapp mit 1,5 Milliarden Nutzern, aber auch das Netzwerk Instagram, auf dem monatlich 800 Millionen Menschen weltweit private Bilder veröffentlichen. Ein Riesengeschäft – schlimmstenfalls auch mit den persönlichen Daten all dieser Menschen. „Je größer die wirtschaftliche Macht eines Unternehmens, desto größer ist die Gefahr des Machtmissbrauchs“, sagt Lettl. „Das haben wir gerade erst beim Skandal um die Daten erlebt, die Facebook an Cambridge Analytica weitergegeben hat.“ Persönliche Informationen von Nutzern waren unrechtmäßig an das inzwischen insolvente Datenanalyse-Unternehmen weitergereicht worden, das später unter anderem für das Wahlkampfteam von US-Präsident Donald Trump arbeitete. 87 Millionen Menschen weltweit könnten betroffen sein. 

„Daten sind heutzutage Bargeld“, sagt Lettl. „Wer Daten von Menschen besitzt, hat den entscheidenden Vorteil im Wettbewerb um Kunden.“ Im Internet werde man überall aufgefordert, Adressdaten einzugeben. Persönliche Bilder und Texte in den sozialen Netzwerken informieren über unsere Interessen, unser Kaufverhalten oder unsere politischen Einstellungen. Die Kreisläufe, die unsere Daten nehmen, können wir aber kaum nachvollziehen. Ein wenig Hoffnung gibt es jedoch. Im Mai 2018 ist eine neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) für die Europäische Union in Kraft getreten. Die Neuregelung lässt allerdings mit sehr weichen Formulierungen zu viele Möglichkeiten für die Mitgliedsstaaten, eigene Regelungen zu finden, so Lettl. „Die Herausforderung bei der Rechtssetzung auf europäischer Ebene besteht meist darin, dass sich alle Mitgliedstaaten auf einen Gesetzestext einigen, ohne das Ziel – den Schutz personenbezogener Daten – zu verwässern.“ Ob dieses Ziel mit der neuen Verordnung erreicht werden kann, wird sich nun in der Praxis zeigen müssen.

Auch Verbraucher haben die Märkte in der Hand

„Wirtschaftliche Macht benötigt Begrenzung und Kontrolle“, sagt Lettl. Der Jurist richtet sich daher in dem Gutachten zur Machtkonzentration auf den Märkten auch mit einer Empfehlung an den Gesetzgeber: Als letzte Konsequenz solle dieser große Konzerne „entflechten“, also in kleinere Unternehmenseinheiten zerschlagen. Kartellrechtliche Entflechtungsregeln gebe es schon im Vereinten Königreich und in den USA. „Zwar würde eine solche Regelung verfassungsrechtlich eine Herausforderung bedeuten, denn sie würde das Eigentum betreffen, das geschützt ist.“ Bleibt sie jedoch die Ausnahme, hält Lettl die Entflechtung für ein sinnvolles Instrument – schon allein wegen der Abschreckungswirkung auf Unternehmer.

Als Jurist habe er vor allem die Gesetzgebung im Blick. „Dennoch sind die Konzentrationsprozesse nicht nur gesetzlich zu regeln.“ Lettl glaubt zwar, dass der Gesetzgeber durch die Verschärfung der Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle oder das Bundeskartellamt durch Auflagen Zusammenschlüsse von Unternehmen abwehren könnten. Doch er ist sicher, dass die Verbraucher die größten Einflussmöglichkeiten haben. „Würde die Hälfte der Facebook-Nutzer – also mehr als eine Milliarde Menschen – mit dem Austritt drohen, würde der Konzern in Zugzwang geraten.“ Lettl hat den Eindruck, dass oftmals eine gewisse Gleichgültigkeit dem Datenmissbrauch gegenüber vorherrscht. „Persönlich mache ich die Erfahrung, dass junge Leute eher sagen: Ich habe keine Geheimnisse; ich spüre keine Konsequenzen, wenn meine Daten heimlich verkauft werden.“ Auch im Lebensmitteleinzelhandel sieht der Experte für Kartellrecht die Verbraucher in der Pflicht. Wenn Kundinnen und Kunden gewillt sind, mehr Geld für Lebensmittel zu bezahlen und nicht nur bei den großen Händlern zu kaufen, können sie das Machtgefälle direkt beeinflussen. „In den letzten Jahren waren Verbraucher dazu aber kaum bereit. Und das, obwohl Deutschland eines der reichsten Länder der Europäischen Union ist und die Preise für Lebensmittel auf Grund des Preisdrucks vergleichsweise niedrig sind.“ 

Lettl hat vor, die Marktmachtkonzentration weiter zu beobachten. Als nächstes wird er als Berater bei einem Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene tätig sein: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Kommission will über neue Regelungen bei unlauteren Handelspraktiken zwischen Unternehmen im Lebensmittelhandel entscheiden. Darauf freut sich Lettl. „Als Wissenschaftler werde ich vor allem unparteiischer Beobachter sein und muss keine politischen oder wirtschaftlichen Interessen vertreten. Diese Freiheit ist ein großes Privileg.“

DER WISSENSCHAFTLER

Prof. Dr. Tobias Lettl studierte Rechtswissenschaft. Er ist seit 2004 Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Potsdam.
lettluni-potsdamde

Text: Jana Scholz
Online gestellt: Marieke Bäumer
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde

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