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Menschenrechte in Zeiten des Klimawandels – Andreas Zimmermann wirkt bei einem Gutachtenverfahren am Internationalen Gerichtshof mit

Prof. Dr. Andreas Zimmermann
Erakor Island, Vanuatu
Foto : Sandra Scholz
Prof. Dr. Andreas Zimmermann
Foto : AdobeStock/Martin Valigursky
Der Pazifikstaat Vanuatu hat in den vergangenen Jahren immer häufiger mit Naturkatastrophen zu kämpfen.

Überschwemmungen, Dürren und Wirbelstürme: Der Pazifikstaat Vanuatu hat in den vergangenen Jahren immer häufiger mit Naturkatastrophen zu kämpfen. Zugleich bedroht der steigende Meeresspiegel den kleinen, tiefliegenden Inselstaat sogar in seiner Existenz. Doch Vanuatu konnte 2023 mit einer Initiative, der auch Deutschland angehörte, einen wichtigen Erfolg im Kampf gegen den Klimawandel verbuchen: Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag befasst sich nun in einem Gutachtenverfahren mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten, dem Klimawandel entgegenzuwirken. Auch die Rechtsfolgen für die Staaten, die diesen Pflichten nicht nachkommen, sollen die 15 Richterinnen und Richter des „Höchsten Gerichts der Welt“ erörtern. Im Kern geht es dabei nicht nur um den Schutz der Natur, sondern auch um die Menschenrechte auf Nahrung, Wasser, Unterkunft oder Gesundheit.

Auftrag der Bundesregierung

Nachdem die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution zur Beauftragung eines IGH-Gutachtens einstimmig verabschiedet hat, haben nun Staaten und internationale Organisationen Gelegenheit, Stellungnahmen abzugeben. Auch die Bundesregierung hat sich dazu entschlossen und Prof. Dr. Silja Vöneky von der Universität Freiburg und Prof. Dr. Andreas Zimmermann von der Universität Potsdam beauftragt, sie bei der Anfertigung der deutschen Stellungnahme zu unterstützen. Sie sind beide auch Mitglieder des Völkerrechtswissenschaftlichen Beirats des Auswärtigen Amtes (AA). „Rechtswissenschaft ist keine Naturwissenschaft, es gibt immer gute Argumente für verschiedene Seiten. Insofern gleicht unsere Arbeit hier einer anwaltlichen Tätigkeit: Wir vertreten mit juristischen Argumenten die deutsche Rechtsauffassung“, sagt Zimmermann.

Prof. Zimmermann hat bereits wiederholt solche Gutachtenverfahren begleitet, sowohl für die deutsche Regierung als auch für andere Staaten. So ist er etwa im Verfahren zum Rechtstatus des Archipels Chagos, eines Teils der ehemals britischen Kolonie Mauritius, für Deutschland aufgetreten. Als Mauritius 1965 unabhängig wurde, wollte Großbritannien das Archipel behalten, nicht zuletzt wohl wegen der großen Militärbasis auf der Insel, die bis heute auch von den USA genutzt wird. Zwar sind solche Rechtsgutachten des IGH nicht bindend. Dennoch haben sie eine große Strahlkraft und immer wieder eine enorme praktische Auswirkung auf das Verhalten von Staaten, sagt Zimmermann. „Beispiel Chagos: Das Vereinigte Königreich hatte sich immer geweigert, über die Übertragung des Archipels an Mauritius auch nur zu verhandeln“, so der Professor. „Im Lichte des IGH-Gutachtens, welches zu der Auffassung gelangt war, Chagos gehöre zu Mauritius, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen sodann fast einstimmig das Vereinigte Königreich aufgefordert, das Archipel zu verlassen. Und inzwischen haben konkrete Verhandlungen über die Modalitäten der Rückübertragung von Chagos an Mauritius begonnen.“

Völkerrechtliche Verantwortung

Welche Auswirkungen das aktuelle Verfahren im Einzelnen haben wird, hänge dabei nicht zuletzt davon ab, wie klar sich die Richterinnen und Richter positionieren werden. Als Völkerrechtsexperte kennt Andreas Zimmermann die komplizierte Gemengelage, wenn es um das Völkerrecht geht. „Hier ist längst nicht alles in schriftlicher Form festgelegt, sondern das Völkerrecht entwickelt sich aus dem Gewohnheitsrecht, über die Staatenpraxis, weiter.“ Hat Deutschland menschenrechtliche Verpflichtungen selbst gegenüber denjenigen Personen, die nicht auf ihrem Hoheitsgebiet wohnen? Hat sie eine völkerrechtliche Verantwortung für den Umstand zu tragen, dass der Wasserspiegel in Vanuatu in den vergangenen 100 Jahren um 20 Zentimeter gestiegen ist? Vor einiger Zeit klagten Kinder aus Kolumbien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gegen Portugal, Deutschland, Norwegen und andere europäische Staaten, weil sie sich durch deren umweltschädigendes Verhalten in ihrem Recht auf Leben bedroht sahen, berichtet Zimmermann. „In diesem Verfahren stellt sich die Frage: Schützt die Europäische Menschenrechtskonvention Personen in Kolumbien, die sich nicht auf deutschem Staatsgebiet aufhalten und natürlich nicht allein von deutschen Emissionen bedroht sind, die weltweit lediglich zwei Prozent aller Emissionen ausmachen? Und wer ist überhaupt Träger von Menschenrechten – können nur Personen, die bereits leben, Menschenrechte besitzen?“ Gerade dieser Aspekt lässt das Gutachten des IGH mit Spannung erwarten. „Dass Personen Träger von Rechten sein können, obwohl sie noch gar nicht geboren sind, ist ein ganz neuer Gedanke“, erklärt Zimmermann. „Hätten etwa meine Enkel Rechte auf Wahrung der Umwelt oder nicht?“ Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist ausdrücklich formuliert, dass der Staat die natürliche Umwelt auch in Verantwortung für nachfolgende Generationen schützt. „Wenn auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen diese Verantwortung unterstreicht und mit einer Aufforderung verbindet, ist das Teil eines größeren Gesamtkontexts. Das sorgt wohl nicht dafür, dass wir von heute auf morgen nicht mehr Auto mit Verbrennungsmotor fahren werden. Aber das Gutachten ist dann Teil eines Entwicklungsprozesses, der hoffentlich in die richtige Richtung führt.“

In den nächsten Monaten werden die schriftlichen Stellungnahmen eingereicht, bis dann voraussichtlich im Herbst im Friedenspalast in Den Haag eine mündliche Anhörung stattfinden wird. Hier bekommen alle Staaten und Organisationen jeweils ungefähr eine halbe Stunde Zeit, um ihre wesentlichen Argumente vorzutragen. Dann zieht sich der Gerichtshof zur Beratung zurück und im Frühjahr 2025 dürfte er sein Rechtsgutachten veröffentlichen. Gegebenenfalls wird Andreas Zimmermann bei der mündlichen Verhandlung erneut persönlich vor dem IGH sprechen. Darin hat er zwar schon Erfahrung. Doch wäre es für den Potsdamer Juristen eine große Ehre, einmal mehr vor dem World Court, in der Great Hall of Justice des Friedenspalastes in Den Haag zu plädieren.

 

Dieser Text erscheint im Universitätsmagazin Portal - Eins 2024 „Welt retten“.