Seit dem Wintersemester 2024/25 studiert Anna Maria Weiß Physik an der Universität Potsdam. „Ich bin richtig glücklich damit, nur noch Physik und Mathe zu machen. Das hat mir schon in der Schule am meisten Spaß gemacht.“ Vor Kurzem ist sie aus ihrem Heimatort Vogelsdorf nach Potsdam gezogen, in die erste eigene Wohnung.
Forschen in der Schulsternwarte
In der 9. Klasse begann die wissbegierige Schülerin, sich zunächst mit schon bekannten Planeten außerhalb unseres Sonnensystems – den sogenannten Exoplaneten – zu beschäftigen. Damals lernte sie die „Transit-Methode“ kennen: Während seines Umlaufs bedeckt ein Himmelskörper für einige Zeit den Stern, um den er kreist. Dadurch nimmt dessen Helligkeit ab. Ein Teleskop macht von diesem sogenannten Transit Hunderte Bilder. Per Computer verglich Anna Maria Weiß die Helligkeiten der Sterne und konnte so die relative Abdunkelung im Sternenlicht berechnen. Das ermöglichte es ihr, auch den Radius des Exoplaneten herauszufinden.
Das Einstein-Gymnasium in Neuenhagen, das sie besuchte, verfügt über eine eigene Sternwarte. Dort beobachtete sie erste Planetentransits. „Die Schule hat einen MINT-Schwerpunkt und der Schulleiter ist Astrophysiker“, erzählt sie. Weil ihr das Forschen so viel Spaß machte, blieb sie auch in der 10. und 11. Klasse dran. Der Schulleiter empfahl sie für ein Praktikum beim Leibniz-Institut für Astrophysik (AIP) in Potsdam. Da war sie 16. „Ich habe dort ganz tolle Sachen gelernt.“ In der 12. Klasse schrieb sie ihre Forschungsarbeit über Exoplaneten bei der Astrophysikerin Eliana Amazo-Gomez vom AIP. Mit ihrer Expertise gelang es ihr, den Exoplaneten TOI1147 zu entdecken – und den Bundeswettbewerb „Jugend forscht“ im Fachgebiet Geo- und Raumphysik zu gewinnen. Der Forschungseinrichtung blieb sie seither verbunden, seit 2023 ist sie sogar offiziell Gast in der Arbeitsgruppe „Exoplaneten und Sternenphysik“. „Ich koste nichts, ich mache das einfach aus Interesse.“
Nebenjob am Forschungsinstitut
Außerdem ist sie Wissenschaftliche Hilfskraft in der Forschungsgruppe „Astrophotonik“ am AIP, wo Instrumente für sehr empfindliche Teleskope entwickelt werden. „Während der Schulzeit habe ich an der Tankstelle gearbeitet, um Geld zu verdienen. Inzwischen kann ich im Fach arbeiten. Und am AIP lerne ich jetzt schon, wie man Paper schreibt.“ Weiß ist froh, dass sie die Möglichkeit hatte, noch vor dem Studium wissenschaftliche Erfahrungen zu sammeln und angewandt zu forschen. „In der Regel hat man das erst nach dem Bachelor. Mich macht das sehr glücklich.“
Auch ihre Eltern unterstützen sie, haben ihre Facharbeiten an der Schule gelesen. Die beiden haben kein Abitur, hören ihr jedoch gespannt zu, wenn sie von den neuesten Forschungsergebnissen berichtet. Wenn Weiß voller Leidenschaft von Radialgeschwindigkeiten, Transit-Methode und Orbits erzählt, kann ihr sicher nicht jeder folgen. Aber Gesprächspartner findet die 18-Jährige dennoch überall. „Die Neugier in der Menschheit ist zum Glück groß, wenn es um Sterne und Planeten geht.“
Einer von 7.000 unbekannten Planeten
Doch wie kam die Schülerin überhaupt zu „ihrem“ Himmelskörper? Das Transiting Exoplanet Survey Satellite (TESS), ein Weltraumteleskop der NASA, scannt fortlaufend den Himmel und spürt immer neue Exoplaneten auf. In einer Tabelle werden alle mutmaßlichen Planeten dieser Mission zusammengefasst, aktuell rund 7.000 Objekte. Anna Maria Weiß traf eine Vorauswahl, in die sie Paramater wie die Planetengröße und die Sternhelligkeit einbezog, damit sie die Planeten überhaupt von der Erde aus sehen kann. Anschließend durchsuchte sie die Lichtkurven Hunderter Himmelskörper, die TESS beobachtet hatte, und fand am Ende zwei, die sie sich genauer ansehen wollte. Dann ging es ans „Nachbeobachten“, denn Abdunkelungen müssen nicht zwingend von Planeten stammen, es können auch Flecken auf der Sternoberfläche oder ein zweiter Stern sein, der um den anderen kreist. Bei dem zweiten Himmelskörper, einem jungen Stern, scheiterte es an der Berechnung der Radialgeschwindigkeit.
Anders bei TOI1147 – wobei TOI für „TESS Object of Interest“ steht. Die Schülerin wählte einen Planeten aus, der die ganze Nacht und das ganze Jahr über sichtbar ist. Der Planet hat 1,3 Jupitermassen und 2,3 Jupiterradien. „Daran sieht man, dass er eine ziemlich geringe Dichte haben muss, das ist besonders“, erklärt Weiß. 10,9 Tage braucht er, um den großen Stern zu umkreisen – der Abstand zwischen beiden ist also vergleichsweise gering. Damit ist der Exoplanet ein sogenannter Hot Jupiter. Diese Entfernung ist aber nicht konstant, denn der Orbit des Planeten ist hochelliptisch. Wenn er ihm sehr nahekommt, beschleunigt er sich. „Das sind extreme Bedingungen“, so Weiß.
Mit dem STELLA-Teleskop auf Teneriffa, ein gemeinsames Projekt des AIP und des Instituto de Astrofísica de Canarias in Spanien, beobachtet sie den Planeten – natürlich remote, sie fliegt nicht ständig auf die Kanaren. „Obwohl das auch schön wäre“, sagt Weiß und lacht. „Wir sind gerade in einer Phase in der Astrophysik, die super interessant ist, weil die Teleskope immer größer werden und wir bessere Daten bekommen“, schwärmt die Studentin. Die Robotik für das Teleskop haben Kollegen vom AIP entwickelt.
Netzwerken für Daten aus dem All
Im Mai 2025 wird die Studentin Deutschland bei der Regeneron International Science and Engineering Fair (ISEF) in den USA vertreten, wo junge Menschen aus der ganzen Welt mit ihren Forschungsprojekten gegeneinander antreten. Hier wird sie die gleiche Arbeit wie bei „Jugend forscht“ präsentieren, allerdings ergänzt um neue Daten. „Weil ich den Planeten jetzt schon seit über einem Jahr beobachte, konnte ich herausfinden, dass um ihn und um den großen Stern ein 0,1 Sonnenmassen kleiner Stern kreist“, berichtet sie begeistert. Dieser hat eine sehr lange Umlaufzeit, circa 700 Tage. Die Beobachtungen sollen bis zu ihrer Bachelorarbeit weiterlaufen. „Dann habe ich ihn zwei bis drei Perioden beobachtet und kann die Ergebnisse ordentlich einbinden.“
Für den Weltraum interessiert sich Anna Maria Weiß schon seit ihrer Kindheit. Auf ihrem iPad schaute sie am liebsten Dokus mit dem Astrophysiker Harald Lesch. „Letztes Jahr konnte ich ihn sogar persönlich kennenlernen, bei einem Wettbewerb von der Ludwig-Maximilians-Universität München.“ Und sie besuchte das Wendelstein-Observatorium des Instituts für Astronomie und Astrophysik der Münchner Universität, das sich auf dem Gipfel des Wendelsteins in den bayrischen Alpen befindet. Fast die ganze Nacht schaute sie durchs Teleskop, schlief nur zwei Stunden. „Sie beobachten jetzt auch meinen Exoplaneten!“, erzählt Weiß begeistert. In welcher Sternwarte sie auch ist, immer bittet sie die Mitarbeitenden darum, ihren Planeten zu beobachten. „Gestern hatte ich eine coole Astronomie-Vorlesung. Mit der Dozentin werde ich nach meinen Prüfungen zusammenarbeiten, um mehr über den zweiten Stern herauszufinden, und zwar mit Machine Learning.“ Anna Maria Weiß versteht es, sich zu vernetzen. Alles, um ihren immensen Wissensdurst über das uns kaum bekannte All zu stillen.
Traumjob Wissenschaftlerin
Schon in ihrem ersten Semester steht fest, worüber die Studentin ihre Bachelorarbeit schreiben wird: TOI1147. Dass ihr Planet ein durchaus geeignetes Forschungsthema ist, hatte ihr schon der Potsdamer Astrophysiker Prof. Dr. Philipp Richter bescheinigt, als er einen Vortrag an ihrer Schule gehalten hatte und mir ihr in Gespräch über „ihren“ Himmelskörper gekommen war. Anschließend will Weiß den Master in Astrophysik machen, ebenfalls in Potsdam. Für sie der ideale Studienort, schließlich arbeitet die Universität eng mit dem AIP zusammen.
Nach dem Studium möchte Weiß Wissenschaftlerin werden. Sofern das mit einer Familie vereinbar ist – denn dass Kinder und befristete Verträge nicht immer zusammenpassen, weiß die 18-Jährige schon. Aber dafür hat sie eine Alternative parat: „Ich könnte auch Physiklehrerin werden. In der 11. Klasse habe ich jüngeren Schülern die Transit-Methode erklärt. Das hat mir viel Spaß gemacht.“
Kometen werden nach ihren Entdeckerinnen und Entdeckern benannt. Bei Planeten ist es anders, weshalb TOI1147 wohl nie ihren Namen tragen wird. Doch Weiß findet die Katalognamen der Exoplaneten sowieso übersichtlicher.