Religionswissenschaft: Forschungsprojekte
Habilitationsprojekt
Religionskunde als Dualismus-Korrektiv? Anthropologische Bausteine für eine Didaktisierung der Religionswissenschaft jenseits von Natur und Kultur
Dr. Irene Dietzel
Die Forschungsarbeit befasst sich mit der Konzeption bekenntnisfreier Religionskunde vor dem Hintergrund einer binären Fächerkultur von Natur- und Geisteswissenschaften in der Sekundarbildung. Ungeachtet der erkenntnistheoretischen Problematisierung dieses Dualismus auf wissenschaftlicher Ebene, bleibt die Polarisierung von naturalistischen bzw. kulturalistischen Weltzugängen ein wirkmächtiges Dispositiv der Schule: Neben den offensichtlichen praktischen Gründen hat dies weitreichende Implikationen: so lässt sich z.B. eine ökonomisch wie futurologisch gedachte Priorisierung von MINT-Fächern beobachten, bei zeitgleicher Überfrachtung von wertereflexiven Fächern wie Ethik und Religionskunde mit gesellschaftspolitischen Aufträgen (z.B. Förderung von interkultureller Kompetenz und Pluralitätsfähigkeit).
Das Nebeneinander der „zwei Kulturen“ (C.P. Snow) in der Fächertafel perpetuiert somit den Eindruck separater Zuständigkeitsbereiche und Deutungssphären, die wissenschaftsgeschichtlich gesehen jedoch stark miteinander verwoben sind. Viele gesellschaftlichen Streitthemen der Gegenwart und Zukunft lassen sich, so argumentiert die Arbeit, auch nur über eine systematische Befassung mit dieser Grenzziehung verstehen.
Das Natur-Kultur Dispositiv bestimmt letztlich auch die Rahmenbedingungen für religionskundliches Lehren und Lernen. Während Theologie und Religionspädagogik diverse Ansätze zum Umgang mit dem Thema ‚(christlicher) Glaube und Naturwissenschaft‘ bieten, stellt die Arbeit die Frage nach einer spezifisch religionswissenschaftlichen Perspektive auf Natur und Kultur: Welche Impulse aus der erkenntnistheoretischen Religionsforschung lassen sich hier zielführend einbringen? Inwiefern sind Reflexionen zur eigenen Disziplingeschichte relevant? Bedarf es eines Neudenkens der Inhalte, Richtlinien und Rahmungen bekenntnisfreier Religionskunde?
Die Forschungsarbeit schöpft aus einem reichhaltigen Fundus sozial- wie kulturwissenschaftlicher Anthropologie – hier ist die Auseinandersetzung mit dem Natur-Kultur-Dualismus grundlegend für die gesamte Disziplin. Mehr noch: Gerade weil die Anthropologie nicht nach ‚Religion‘ fragt, wenn sie den Zusammenhang von Weltbild und rituellem Handeln als eine menschliche Universalie beschreibt, ist anthropologisches Denken und Fragen so wichtig für den religionskundlichen Unterricht. Ziel der Arbeit ist es hier, eine Kompetenzentwicklung in den Blick zu nehmen, die Lernende befähigt zwischen einem naturalistischem Universalismus und einem kulturalistischen Relativismus Orientierung zu finden.
Säkularität und Sakralität in standesamtlichen und kirchlichen Trauungen
Eine vergleichende Toposanalyse aktueller deutschsprachiger Musterreden
Jenny Vorpahl
„Für jede Braut die passende Rede“ – damit wirbt ein Flyer der WEKA MEDIA GmbH & Co. KG für ihr Fachbuch, welches sich vorrangig an Standesbeamt*innen richtet. Es gibt in Deutschland keine allgemeingültige Normen, die vorschreiben, überhaupt zu heiraten oder die fixieren, wie geheiratet wird. Mediale Darstellungen präsentieren hingegen Hochzeitsbilder, die sich zumindest in struktureller und ästhetischer Hinsicht stark ähneln – egal, ob es sich um eine kirchliche Trauung handelt oder nicht. Eine sichtbare Ähnlichkeit oder historische Aufeinanderfolge von Trauungsformen sagt jedoch noch nichts darüber aus, welche Deutungen von Hochzeit und Ehe aktuell als kollektiver Konsens im Rahmen der jeweiligen Institution vermittelt werden, was im Zuge dessen auf welche Weise von von Ritualleiter*innen rezipiert wird und welche Spielräume und Regeln dabei gegeben sind.
Der intrakulturelle Vergleich ähnlicher Quellen, hier Musteransprachen für standesamtliche und solche für kirchliche Trauungen, lässt Charakteristika der Eheschließungsmodelle, die in Deutschland aktuell dominieren, klarer identifizieren. Im Fokus meines Erkenntnisinteresses steht die Untersuchung von aktuellen Charakterisierungen, Deutungen und Legitimationen von Ehe und Eheschließung im Kontext deutscher Amtshandlungen. Daran anschließende weiterführenden Fragestellungen sind u. a.: Welche Funktionen der Ansprachen lassen sich aus den Analyseergebnissen ableiten und was sagen sie über das Verhältnis standesamtlicher und kirchlicher Trauungen zueinander aus? Welche Rolle spielen Transzendenzvorstellungen und religiöse Kommunikation in den Texten?
Die Trauansprachen sind neben dem Jawort und dessen Bestätigung Kern jeder Trauung. Sie sind deshalb interessant, weil sie ein gemeinsames Tableau bilden, auf dem Sprach- und Deutungsmuster, Wertpräferenzen und Lebenswelten lesbar, verknüpfbar und vergleichbar werden. Einerseits haben sie eine Nähe zur Praxis offizieller Repräsentant*innen von Staat bzw. Kirche und sind an deren Autorität, Wissen und Zeichenvorrat gebunden. Andererseits müssen sie ebenso auf die soziale Realität des Publikums und dessen Erwartungen eingehen und stehen damit auf einer Skala zwischen Offizialität und Popularität in der Mitte, um für beide Seiten anschlussfähig zu sein. Die Quellengrundlage besteht aus 182 standesamtlichen Trauansprachen und 190 Predigten (95 katholisch + 95 evangelisch). Der Kontextualisierung dienen zudem Quellentexte, welche im Handlungszusammenhang ‚Hochzeit‘ für die Akteure relevant sind (z. B. personenstandsrechtliche Fachliteratur und Dienstanweisungen, eherechtliche und liturgische Texte, Ratgeberliteratur). Damit können normative und rituelle Rahmungen der Ansprachen skizziert werden.
Als methodischer Rahmen dient ein komparatistisches Forschungsdesign. Dieses wird verbunden mit konkreten Schritten einer Toposanalyse zur Bearbeitung der Quellen, die maßgeblich aus Ansätzen der Intertextualitätsforschung abgeleitet wurden und das Verhältnis von Text und Kontext in den Mittelpunkt stellen. Topoi gehören zum Vorrat an Kollektivsymbolen einer Gesellschaft und sind entscheidend für die Verständlichkeit der Texte für ein breites Publikum. Sie gelten als Ausdruck kollektiv geteilter Wissensbestände, die sich in formelhaften Wendungen, Metaphern, Klischees, Zitaten u. Ä. niederschlagen und (re-)produziert werden. Insgesamt werden in der Arbeit sechs Topoi identifiziert. Sie fungieren dabei als Vergleichskategorien, die im Hinblick auf das tertium comparationis – das Ehe- und Hochzeitsbild – ausgewertet werden. Theorien und Studien zu Säkularisierung, Individualisierung und Sakralisierung werden schließlich zur Interpretation der Analyseergebnisse herangezogen. Auch wissenssoziologische Perspektiven zu kollektiven Wissensbeständen, anpassungsfähigen Deutungsmustern und kommunikativen Gattungen können hier gewinnbringend eingebracht werden.
Habilitationsprojekt:
„Religiöse Pluralisierung im öffentlichen Raum – Die Entwicklung der Sakralräume in Berlin und Brandenburg“
Dr. Gerdi Nützel
„Nun kamen sie auch von den anderen Kirchen her, denn es war der Wunsch und das Gebet des Königs, daß Gott in Potsdam in allen Zungen und jedem Glauben der Erde zu der gleichen Stunde angebetet werde.“ Wie dieses Zitat von Jochen Klepper und die dazu gehörigen historischen Quellen zeigen, ist religiöse Pluralisierung in Berlin und Brandenburg kein neues Phänomen. Schon vor 300 Jahren gab es ein breites Spektrum an Sakralräumen verschiedener Religionen, Sprachen und Konfessionen – insbesondere in Potsdam. Das Habilitationsprojekt untersucht die Faktoren, die in der historischen Entwicklung bis zur Gegenwart die religiöse Pluralisierung im öffentlichen Raum erschwerten oder förderten. Für die gegenwärtige Entwicklung werden zum einen die Konzepte und Erfahrungen mit der Umnutzung vorhandener Sakralbauten durch andere Religionen und Konfessionen, die kontextuellen Bedingungen für Sakralneubauten eines breiten Spektrums unterschiedlicher Religionen in Berlin und Brandenburg sowie die verschiedenen Formen der von Gläubigen verschiedener Religionen geteilten Sakralräume als Teil staatlicher Bauten sowie Hochschulen, in Form von Gärten und Häusern der Religionen dargestellt. Diese empirischen Ergebnisse münden in eine Auswertung im Blick auf die architektonisch-materiellen Konsequenzen, Perspektiven für die stadt- und regionalgeografische Raumplanung, die Verortung von Religion im öffentlichen Raum und Perspektiven der Raumteilung zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften als Akteurinnen im religiös pluralen öffentlichen Raum. Diese Habilitation wird in Anbindung an die Religionswissenschaft an der Universität Potsdam und den Lehrstuhl für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der HU Berlin erstellt.
Kann die Medialisierung die Riten von Mariä Himmelfahrt in Guardia Sanframondi verändern?
Rita Fusco
Bei meiner Arbeit handelt es sich um eine Feldforschung über das Mariä-Himmelfahrts-Fest, das alle sieben Jahre in einer kleinen Stadt in Süditalien, Guardia Sanframondi, stattfindet. In Guardia wird Mariä Himmelfahrt mit den umfangreichsten Bußriten der westlichen Welt begleitet. Im August 2017 sind etwa eintausend Büßer in einer stundenlangen Prozession durch das Dorf gezogen und haben sich die Brust blutig geschlagen. Bei der letzten Veranstaltung hatte das Dorf mit etwa 5000 Einwohnern laut Presse mehr als 100.000 Besucher, die sich aus Gläubigen und Zuschauern zusammensetzten. Obwohl die Organisatoren immer wieder darauf hingewiesen hatten, dass es sich um einen religiösen Ritus handele, war die mediale Präsenz massiv. Viele internationale Aufnahmeteams waren gekommen, unter anderem hatten CNN, BBC und das Team von Al Jazeera die Prozessionen verfolgt. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden diese Riten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, von der Kirche und den staatlichen Behörden als Ausdruck einer rückständigen und abergläubischen Volksreligiosität bekämpft. Heute werden sie jedoch von der katholischen Kirche als Teil der Ökumene anerkannt und der Bußcharakter der Riten wird hervorgehoben. Ziel meiner Untersuchung war es, herauszufinden, ob das Aufkommen zunächst der Medien und anschlieβend der sozialen Medien diese verändert hat. Während der Forschung lebte ich einige Monate in diesem kleinen Bergdorf, das siebzig Kilometer von Neapel entfernt liegt. Ich kehrte regelmäßig nach Guardia Sanframondi zurück, weil ich diese außergewöhnlichen Riten über die gebräulichen Festtagsformen des kleinen Dorfes erfassen wollte.
Der kollektive Reinigungsritus dauert eine ganze Woche lang und Tausende von Menschen nehmen daran teil. Diese komplexe Veranstaltung endet mit seiner spektakulärsten Prozession: die Prozession der Battenti, die Prozession, die am letzten Sonntag der Riten stattfindet. Battenti sind Gläubige, die der Madonna ein Versprechen geben. Sie strafen sich mit einem Buß-Instrument namens spugna, was "Schwamm" bedeutet. Ein solcher Schwamm besteht aus einem größeren Korken, in dem Nadeln stecken. Die Riten von Guardia bestehen aus zwei verschiedenartigen Aufführungen: die Prozession der Battenti und die Prozessionen der Mysterien. Eine Woche lang, bis zum Epilog der Prozession der Battenti, wird das ganze Dorf zur Kulisse religiöser Aufführungen. Es handelt sich um eine Reihe von Aufführungen, in der der Körper eine zentrale Rolle spielt. Die Mysterien erinnern in ihrer Eigenart an die Mysterienspiele des Mittelalters, aber im Gegensatz zu diesen werden die Szenen hier durch Nicht-Bewegung charakterisiert. Die Darsteller der Mysterien halten für die Dauer des Weges die gleiche, starre Pose bei und in diesen Szenen bleiben alle Beteiligten absolut stumm. Mit den Prozessionen während der Woche bereitet sich die Gemeinschaft auf die finale Prozession der Battenti vor.
Die Buße in aller Öffentlichkeit kann als eine der Besonderheiten der Riten in Guardia angesehen werden, weil ein büßender Körper sowohl während der Prozession der Battenti als auch während der Prozessionen der Mysterien der Öffentlichkeit dargeboten wird. Ohne vereinfachen zu wollen, lässt sich zusammenfassend sagen, dass das Modell der Passion Christi, das dem Paradigma von Tod und Auferstehung folgt, den Moment der Sühne zweifellos in den Mittelpunkt der Reinigungsriten gestellt hat.
In meiner Arbeit setze ich mich in diesem begrenzten ethnologischen Kontext mit einigen der wichtigsten thematischen Fragen im Rahmen der Studien über Rituale auseinander: Einerseits untersuche ich die historischen Transformationen des Ritus und seine Fähigkeit zur Veränderung; andererseits berücksichtige ich sowohl Aspekte, die unverändert in der Gegenwart weiterbestehen als auch solche, die eine neue Bedeutung angenommen haben.
Meine Forschungen, die sich auf die Beobachtung der Riten in Guardia Sanframondi in ihrer heutigen Form stützten, umfassten auch eine parallele Arbeit historischer Natur. Ziel der historischen Arbeit war es, die mündlichen Überlieferungen zu hinterfragen und zu relativieren, in denen die Riten oft als etwas dargestellt werden, das im Laufe der Zeit unverändert geblieben ist. Die ethnologische Forschung wurde daher von Archivrecherchen begleitet, die es mir ermöglichten, die Riten vor dem Hintergrund der historischen, sozialen und kulturellen Entwicklung zu betrachten.
Die Teile der gesamten Veranstaltung und ihre geschichtliche Entwicklung waren Gegenstand einer gründlichen, mehrjährigen, multidisziplinären Forschung, die von Prof. J. Hafner geleitet wurde. Die Forschungsarbeit befindet sich nun in der Endphase, und es haben sich neue Perspektiven ergeben, die die Kenntnisse über die Guardia-Riten erweitern.
Social Integration and Religion: A case study on Alevi-Sunni socio-religious relationships in mixed villages in Çorum
Birol Topuz
Alevi-Sunni relations in Turkey, unfortunately, often intertwined with the superficiality of a meaningless, political debate, it has been the subject of speculation or contention. This socio-religious phenomenon, which each group tries to define according to itself, has always been a social problem.
Alevism, which is a part of this discussion, has been called by many different names according to the regions and periods it has been in. Alevism is a socio-cultural structure for some, and a socio-religious structure for others. This social structure has been the subject of debate in Turkey almost every period. Alevis, who were known to have lived separately with the Sunni group in the past, started to live together with Sunnis especially in big cities with the effect of industrialization and migration. However, despite this, it is observed that Alevi and Sunni groups live together in the same villages in some rural areas in a very small number.
Even so, Alevis often had to hide their thoughts and beliefs due to some bad experiences they had in the past. However, in these five villages where research was conducted, it was observed that Alevis lived together with their Sunni neighbors without hiding their own beliefs and thoughts. In this respect, the primary purpose of this study has been to try to understand the reasons for the harmonious association between these two groups. Because in here, it has been observed that Alevis openly held cem ceremonies and even their Sunni neighbors attended some ceremonies.
Almost every month, news of conflict and debates between Alevi-Sunnis are reflected in the media. In such an environment, it is noteworthy that in these five selected villages of Çorum, Alevi-Sunnis have lived together in harmony for years. It is known that there are some differences between these two groups in their beliefs and practices that are accepted by everyone, and this case sometimes causes conflicts. However in these villages, do the Alevis-Sunnis really live in harmony as seen from the outside? How did they ensure this social cohesion together with their own differences? If there is a partial integration in these villages, which areas does this integration mostly cover? Are the factors that strengthen this integration and harmony, religious or cultural factors? And how does the presence of both a Mosque and a Djemevi in villages, where this harmony is observed, affect this integration? These and some other similar questions were accepted as a problem and research was started.
In this respect, this research tries to understand the sociological aspects of the relations of Alevis and Sunnis living together in today's Turkish society. In addition, it was aimed to determine the elements that ensure this harmonious coexistence seen in rural life. And so it aims to make a contribution to understanding and explaining these two socio-religious groups.
The difficulties of sociological research is known by nearly all researchers. However, doing empirical research, especially on issues such as Alevi-Sunni was made of intense debate in Turkey, is quite difficult. Conducting a part of this research on 15 July 2016 in Çorum, where the "1980 Çorum Upheavel" previously took place, made the research even more difficult.
Die Pietà-Ikonik in der Gegenwartskunst. Modifikation und Innovation einer Bildformel
Christine Keruth
Die Dissertation wirft Schlaglichter auf die Bildrezeption der Pietà ab dem 21. Jahrhundert und ist ein religionswissenschaftlicher Beitrag zur Erforschung der Reinszenierung eines ursprünglich christlichen Bildmotivs.
Die tradierte Pietà veranschaulicht die letzte zärtliche Berührung des gerade verstorbenen Jesus‘ durch Maria. Sie ist überwiegend im christlich-abendländisch geprägten Lebensraum aber auch im transkulturellen Bildgedächtnis verankert. Das Bildmotiv wird in der Gegenwartskunst verstärkt als innovative Trauerformel in politischen oder sozialen Kontexten verwendet, um existenzielle Lebenserfahrungen oder gesellschaftskritische, sowie politische Anklagen zu formulieren. Es erlebt einen Relaunch in der Medienberichterstattung, der Kunst, in Filmen oder der Alltagskultur. Die Semantik dieses spezifischen Bildmotivs rührt offenbar an und kann bei Betrachtenden eine emotionale Gestimmtheit evozieren. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach einer religionsübergreifenden Wirkmächtigkeit ikonischer Präsenz eines religiösen Bildmotivs in der Kunst und den Bildmedien von aktueller Relevanz. Über ein Set international renomierter, zeitgenössischer Künstler:innen wurden eventuelle Veränderungen und ein damit verbundener gesellschaftlicher Bedeutungswandelanalysiert.
Im Vordergrund steht die Frage nach einer Modifikation bzw. Neuinterpretation dieser Ikonik. Das Aufzeigen eines möglichen dynamischen Entwicklungsprozesses des Bildmotivs soll klären, welche veränderten Funktionen dem Pietà-Motiv in der Gegenwartskunst zugeschrieben werden.
Ferman 74. Der Genozid an den Jesiden 2014/15
Analysen, Interviews, Dokumentationen, hrsg. von Stefan Gatzhammer, Johann Hafner und Dawood Khatari, Übersetzungen aus dem Arabischen und Kurdischen von Chaukeddin Issa, Baden-Baden 2021.
„Ferman 74“ bezeichnet die systematische Verfolgung des jesidischen Volkes durch fanatische Anhänger des sog. Islamischen Staats. Der Überfall der Islamisten auf das Dorf Kotscho im Sintschar-Gebiet am 3.8.2014 markiert den Auftakt zum Genozid an der jesidischen Religionsgemeinschaft und Volksgruppe.
Das an der Universität Potsdam am Lehrstuhl für Religionswissenschaft 2021 herausgegebene Buch „Ferman 74“ dokumentiert auf ca. 600 Seiten in Auswahl und deutscher Übersetzung über 200 Aussagen von und Interviews mit Überlebenden. Deutlich werden die von langer Hand geplanten Abläufe, die Selektion der einzelnen Gruppen, die sexuellen Mißhandlungen an Mädchen und jungen Frauen, der Menschenhandel in Syrien sowie die Tötung tausender junger Männer und älterer Personen. Die Berichte belegen, dass die jesidische Bevölkerung in der Region Sintschar im Nordirak zum Hauptziel der vor allem religiös motivierten Vorgehensweise der IS-Terroristen wurde.
Wissenschaftliche Analysen zur Geschichte der Fermane, zum internationalen Strafrecht, zur Menschenrechtsfrage, zur militärisch-strategischen Ausgangslage, zum Jesidentum aus historischer und religionswissenschaftlicher Perspektive sowie zu den Interviews aus psychologischer Sicht begleiten den Band. Ergänzt wird der dokumentarische Teil durch aktuelle Statistiken zur Anzahl der Opfer nach Herkunft, Alter und Geschlecht, zur Anzahl und Lage der Massengräber sowie durch eigens gestaltetes Kartenmaterial zu Irak/Syrien und zur Sintschar-Region.
Das Buch „Ferman 74“ ist ein vom Auswärtigen Amt/DAAD gefördertes Publikationsprojekt des Lehrstuhls für Religionswissenschaft an der Universität Potsdam mit der Universität Dohuk in Irakisch-Kurdistan.
Nichtreligiosität in Ostdeutschland
Das Forschungsprojekt Nichtreligiosität in Ostdeutschland untersucht, inwiefern Lebensstile, Normen und Weltanschauungen in Ostdeutschland Reaktionen auf die forcierte Säkularisierung durch das ehemalige kommunistische Regime bilden. Angesichts der derzeitigen „Ostalgie“ - repräsentiert durch Produkte und Einstellungen - scheint es offensichtlich, dass in Ostdeutschland Spätfolgen der DDR wirken und in Formen freiwilliger, tradierter Säkularität münden, welchen jedoch größtenteils die frühere ideologische Untermauerung fehlen. Dies wird sichtbar am nachhaltigen Erfolg der Jugendweihe, aber auch in der selbstverständlichen Adaption kirchlicher Trauriten bei standesamtlichen Hochzeiten und einigen Positionen in linksradikalen Parteien.
- Panel „Remote effects of secularization in East Germany”, XXI. World Congress of the International Association for the History of Religions, 23.-29. August 2015, Universität Erfurt (Jenny Vorpahl, Dirk Schuster, Prof. Dr. Johann Ev. Hafner, Dr. Hans-Michael Haußig)
- Panel: „Theoretical and empirical approaches to the relationship between religion and nonreligion in Germany”, ISORECEA Conference 2016: “Religion and Non-Religion in Contemorary Societies”, Zadar, Kroatien, 21.–24. April 2016 (Leitung: Jenny Vorpahl und David Schneider)
- Jenny Vorpahl: The ritual design of civil marriage ceremonies in Germany. Vortrag im Rahmen des Panels „Not religion, but not without religion. Representations of nonreligious ideas, forms and practices“, Konferenz der European Association of the Study of Religions: „Relocating Religion“, Helsinki, Finnland, 28.Juni–1. Juli 2016.
- Dirk Schuster: The evaluation of the science of atheism in the GDR by policy makers. Vortrag im Rahmen des Panels „Nonreligion and Atheism in Central and Eastern Europe“, Konferenz der European Association of the Study of Religions: Relocating Religion, Helsinki, Finnland, 28.Juni–1.Juli 2016.
- Habilitationsprojekt: Was kommt nach der Religion? Atheistische Konzepte zum Aussterben von Religion. (Dirk Schuster, 2015-2020)
- Religiosität in Potsdam/Brandenburg: In der Stadt Potsdam gibt es ca. 80 religiöse Gemeinschaften. Sie sind angesichts der säkularisierten Umwelt mehrheitlich in einen „hibernation-modus“ gegangen. Wo nehmen sie Platz im urbanen Raum? Wie vernetzt sind sie? Welche Rolle spielt die Wende in ihrer Gemeindegeschichte? Wann gehören Yoga-Studios und Freidenker-Gruppen in das religiöse Feld? Planung eines Buches mit Aufsätzen und Portraits, welche Glaubensgrundlagen, Riten, Örtlichkeit und Strukturen umfassen sollen (Prof. Dr. Irene Becci, Lausanne, Prof. Dr. Johann Hafner 2012-2016).
Niedrige Transzendenzen: Engel und Mittlerwesen
Auch in sog. monotheistischen Religionen werden unterhalb der Hochgottheit beharrlich Wesen gedacht, die weder menschlich noch göttlich sind (Engel, Dämonen, Äonen, Geister). Sie erfreuten sich gerade jenseits offizieller Theologien breiter Beliebtheit, zumal sie dem Bedürfnis nach Heilung, Auskunft und Spekulation entsprechen. Mithilfe von systemtheoretischen Überlegungen soll die „necessité de l’angélologie“ (H. Corbin) und die Differenzierung verschiedener Transzendenzen rekonstruiert werden. Derzeit entsteht ein Band zu den Ursprüngen biblischer Mittlerwesen und ihrer Verzweigungen in apokryphen, gnostischen und anderen ‚heterodoxen‘ Traditionen.
Vgl.
- Hafner, Johann Ev.: Religionswissenschaftliche Kategoriebildung - am Beispiel 'Engel'. In: Stausberg, Michael (Hg.): Religionswissenschaft. Berlin 2012, S. 155-168.
- Hafner, Johann Ev.: Wozu dienen Engel? Zur Funktion niedriger Transzendenzen. In: Jung, Hermann (Hrsg.): Symbolon, Jahrbuch Band 18, Frankfurt/M. 2012, S. 159-183.
- Hafner, Johann Ev.: Die Engel im Christentum. In: Franzl, Klaus Peter/Hahn, Sylvia/Haßlberger, Bernhard (Hg.): Engel. Mittler zwischen Himmel und Erde. Freising 2010, S. 40-59.
- Hafner, Johann Ev./Diemling, Patrick (Hg.): Die Kommunikation Satans. Einflüsterungen, Briefe, Gespräche des Bösen. Frankfurt a.M. 2010.
- Hafner, Johann Ev.: Angelologie. Paderborn 2009.
- Hafner, Johann Ev.: Engelssprachen – einfache Doppelkontingenz. Ein Beitrag zur Kommunikationstheorie. In: Ebertz, Michael N./Faber, Richard (Hg.): Engel unter uns. Soziologische und theologische Miniaturen. Würzburg 2008, S. 91-99.
Weitere Dissertationsprojekte
- Stichwörter der Wortfamilie ,Jude‘ in einsprachigen deutschen Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts (Daniela Schmidt, 2014-2017)
- Religiöse Reaktionen auf das Erdbeben in Haiti 2010. Feldstudie unter Voodoo-Hougans, katholischen Priestern und baptistischen Pastoren (Stefanie Fischer 2014-2017)
- Schopenhauer's Doctrine of Salvation in Relation to his Critique of Religion and Philosophical Teachings (Anil Batti 2013-2016)
- Die Verwendung des Engel-Motivs bei postreformatorischen Predigern: John Wesley, Charles H. Spurgeon, Ellen G. White, Billy Graham (Benjamin Klammt 2013-2017)